Peru: Vizepräsidentin Dina Boluarte muss sich vor Justiz für Dutzende Tote verantworten

Peru kommt nicht zur Ruhe. Der Staat reagiert mit Härte auf Proteste und Demonstrationen, die sich gegen die Repressionen richten, mit denen Vizepräsidentin Dina Boluarte wiederum ihre Macht behauptet. Dabei sind die Umstände ihres Machtantritts dubios. Bereits jetzt sind Dutzende Tote zu beklagen.

Die durch einen noch ungeklärten Putsch vor drei Monaten an die Macht gekommene Vizepräsidentin Perus muss sich inzwischen vor der Justiz für die schwere Repressionswelle seit ihrem Amtsantritt verteidigen. Die Zahl der Todesopfer wird je nach Medien auf zwischen 48 und 60 Personen beziffert.

Das Verfahren untersucht gegenwärtig Anschuldigungen wegen Völkermord, Totschlag und schwerer Körperverletzungen, in die auch weitere Mitglieder der Regierung miteinbezogen sind.

Mitte Januar hatte die Interamerikanische Menschenrechtskommission außerdem festgestellt, dass die generelle Diskriminierung der Protestierenden seitens der Regierung als "Terroristen", als Guerilla-Sympathisanten oder als "Indios" das Gewaltklima weiter anheizt.

Doch während Boluarte der Justiz offenbar Rede und Antwort stehen sollte, befahl sie am selben Tag weitere Repressionsmaßnahmen der Polizei.

Am Vorabend des internationalen Frauentags demonstrierten in der Hauptstadt Lima die Familienangehörigen der Opfer an der Spitze eines Demonstrationszuges. Sie hielten Fotos ihrer Verstorbenen in den Händen – eine in Südamerika nur allzu bekannte Szene. Es handelte sich dabei vor allem um Mütter, Frauen und Töchter der von Polizei und Militär ermordeten Menschen, darunter viele Mitglieder der indigenen Aymara-Nation. Sie hatten von ihrem Recht auf öffentliche Proteste und Widerstand gegen die illegale Machtausübung Boluartes Gebrauch gemacht.

Die Polizei setzte wieder massiv Tränengas gegen die Demonstranten ein, obwohl sich Frauen, Kinder und sogar Babys in der Menge befanden. Die Szenen der von den Spezialeinheiten verübten Gewalt wirkten als erneute Beweise für die andauernde Verletzung der Menschenrechte.

"Demokratie ja, Diktatur nein" war einer der Hauptslogans der Mobilisierten, die schließlich von dichten Wolken aus Tränengas zugedeckt und von einem großen Polizeikordon umzingelt wurden.

Die koloniale Mentalität der herrschenden Elite Perus gegenüber dem indigenen Teil der Bevölkerung ist einer der Gründe, warum die Regierung den Konflikt nicht in demokratische Bahnen lenken kann bzw. will. Die abfälligen Worte des Bildungsministers Óscar Becerra, mit denen er sich auf die indigenen Demonstranten bezog, sind typisch dafür.

"Nicht einmal Tiere zeigen ihre Kinder so. (…) Ich bezweifle, dass sie die Mütter sind. Ich glaube, dass sie in der extremen Not, in der sich einige Frauen befinden, ihre Kinder für Demonstrationen vermieten", erklärte er öffentlich. Die Welle der Entrüstung auf seine rassistischen Äußerungen hin konnte ihn nicht zu einer Entschuldigung bewegen.

Vom ersten Tag an kennzeichnete eine militärisch geprägte Unterdrückung der demokratischen Proteste die Regierungsmaßnahmen von Boluarte. Die Soldaten setzen Kriegswaffen, wie automatische Gewehre, gegen die Zivilbevölkerung ein. Mehrere Todesfälle, auch von unbeteiligten Passanten und selbst von Kindern, sind dadurch verursacht worden. Trotz aller Kritik und der Forderungen nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen hat Boluarte diese "Regierungspolitik" beibehalten.

Allerdings spricht das lange Schweigen der westlichen Medienwelt und ihrer politischen Führungsfiguren, ja selbst der UNO, Bände über die herrschende doppelte Moral.

Erst am vergangenen Sonntag – nach drei Monaten – drückten Experten der Vereinten Nationen ihre "tiefe Besorgnis" angesichts der anhaltenden Berichte über Repression, willkürliche Tötungen, Verhaftungen und gewaltsames Verschwindenlassen von Demonstranten in Peru aus.

Die UN-Fachleute kritisierten die übermäßige Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte sowie die Unfähigkeit der Regierung, einen nationalen Dialog zu fördern. In einer Stellungnahme erklärten sie:

"In jeder demokratischen Gesellschaft haben die Menschen das Recht, gegen politische Veränderungen, die ihr Leben und ihren Lebensunterhalt betreffen, zu protestieren und Bedenken zu äußern. Die peruanische Demokratie steht vor einer Glaubwürdigkeitskrise, die nur durch einen echten Dialog, durch die Beteiligung der Bevölkerung und ihre Reformbestrebungen gelöst werden kann."

Darüber hinaus erinnerten sie daran, dass laut dem jüngsten Bericht des Büros des Ombudsmanns bei den Protesten ein Polizist und 48 Demonstranten getötet wurden (obwohl einige Medien die Zahl 60 nennen); es gibt 1.301 Verletzte, Hunderte ungerechtfertigt  Inhaftierte und mindestens einen Fall gewaltsamen Verschwindenlassens.

"Es ist wichtig, die Opfer und ihre Familien über den Fortgang der Ermittlungen zu informieren", forderten die UN-Experten. Außerdem äußerten sie ihre Besorgnis über Berichte von Gewalt gegen Journalisten und Medienschaffende, die über die Demonstrationen berichteten.

Andererseits forderten die UN-Vertreter, zwischen denjenigen zu unterscheiden, die ihr Recht auf friedliche Versammlung ausüben, und denen, die im Zusammenhang mit den Demonstrationen Gewalttaten begehen. Sie kritisierten, dass die Regierung diese Unterscheidung nicht deutlich mache und die Bürgerproteste alle gleichermaßen kriminalisiere.

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