Eine Analyse von Maria Müller
Zudem sind jedoch noch einige Justizverfahren gegen ihn und seine Söhne nicht abgeschlossen, die nun reaktiviert werden können, da er die Immunität und damit den Schutz vor Strafverfolgung wegen seines bisherigen hohen Amtes verloren hat. Das gegen ihn laufende und jahrelang verschleppte Ermittlungsverfahren im Mordfall Marielle Franco, einer linken Stadtverordneten in Rio de Janeiro, und eine Untersuchung wegen Korruption können nun unter neuen Bedingungen durchgeführt werden.
Alte und neue Ermittlungsverfahren
Gleichzeitig lasten neue Klagen auf ihm. Präsident Lula beschuldigte ihn am vergangenen Sonntag der Anführerschaft einer Bewegung zum Sturz der Demokratie in Brasilien. Die Staatsanwaltschaft nannte verschiedene Delikte, die zur Anklage der Bolsonaro-Anhänger führen werden: Bildung einer kriminellen Vereinigung, Versuch eines Staatsstreichs und Beseitigung des Rechtsstaates.
Einige Tausend seiner Anhänger drangen in der Hauptstadt Brasilia in den Kongress, den Bundesgerichtshof und den Präsidentenpalast ein, zerstörten Gebäude und Mobiliar in einem in Brasilien noch nie gesehenen Ausmaß. Dabei wurden auch 14 internationale Journalisten angegriffen und teilweise verletzt. Die Teilnehmer der Revolte weigern sich, den Wahlsieg von Lula anzuerkennen und fordern die Rückkehr Bolsonaros und notfalls ein Eingreifen des brasilianischen Militärs dafür.
Bolsonaro gab seinem überraschenden Verschwinden nach Florida eine medizinische Begründung. Er habe erneut Probleme mit den Folgen einer Operation gehabt, die seit dem Messerstich eines Attentäters gegen ihn ab und zu in Erscheinung tritt. Fotos zeigen ihn lächelnd auf einer Liege in einem Behandlungsraum.
Kritik an Bolsonaros Anwesenheit
In den USA entwickelt sich politischer Widerspruch gegen die Anwesenheit Bolsonaros. Zwei Abgeordnete der Demokratischen Partei sprachen sich im US-Kongress dagegen aus. Bolsonaro habe in Brasilien eine antidemokratische Bewegung ins Leben gerufen. Es sei für das Ansehen der USA problematisch, dieser Person Aufenthalt zu gewähren.
"Bolsonaro sollte nicht in Florida sein", sagte der US-Abgeordnete Joaquín Castro gegenüber dem Nachrichtensender CNN. "Die Vereinigten Staaten sollten kein Zufluchtsort für diesen Autoritären sein, der den inländischen Terrorismus in Brasilien inspiriert hat. Er sollte nach Brasilien zurückgeschickt werden." Alexandria Ocasio-Cortez, eine weitere prominente Repräsentantin der Demokraten im US-Repräsentantenhaus, wiederholte diese Ansichten.
"Die USA müssen aufhören, Bolsonaro in Florida Zuflucht zu gewähren",
twitterte sie am Sonntag. Der Sturm auf die Regierungsgebäude in Brasilia erinnert stark an den vor zwei Jahren stattgefundenen Sturm in Washington, D.C. auf das Kapitol der Vereinigten Staaten. Die Parallelen sind nicht zu übersehen, auch nicht die politische Verwandtschaft von Jair Bolsonaro mit dem republikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump. Insofern könnte sich daraus ein politisches Problem für den US-Präsidenten Joe Biden ergeben.
Unklare Rechtslage des Aufenthaltes in den USA
Die rechtliche Situation Bolsonaros in Sachen Aufenthaltsgenehmigung in den USA ist offenbar noch unklar. Er soll mit seinem Diplomatenvisum A-1 für Staatsoberhäupter, Diplomaten und andere Regierungsbeamte eingereist sein, das besondere Privilegien umfasst, aber auch Beschränkungen unterliegt.
Doch nach Beendigung der Amtszeit verliert dieses Visum seine Gültigkeit, Bolsonaro reiste jedoch noch zwei Tage zuvor in die USA, weswegen die Einreise selbst nicht anzufechten ist. Laut Nachfragen der Agentur Reuters bei zuständigen Beamten gäbe es keine zeitliche Begrenzung dafür, wie lange jemand mit einem A-1 Visum in den Vereinigten Staaten bleiben könne.
Die Nachfragen von Reuters bei Ned Price, dem Sprecher des US-Außenministeriums, ergaben jedoch, dass "jeder in den Vereinigten Staaten mit einem A-1-Visum, der keine offiziellen Aufgaben mehr erfüllt, das Land innerhalb von 30 Tagen verlassen oder eine Änderung des Einwanderungsstatus beantragen muss". Price habe allerdings betont, dies sei eine allgemeine Visabestimmung, er könne sich nicht zum Status einer einzelnen Person äußern. Er fügte hinzu:
"Wenn eine Person keinen Grund hat, sich in den Vereinigten Staaten aufzuhalten, unterliegt sie den Bestimmungen des Departments für Landessicherheit."
Doch es gibt ein weiteres kritisches Element in Bolsonaros derzeitiger Lage. Falls in Brasilien ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wird, müsste er dorthin zurückreisen und sich der Polizei stellen. Im Falle seiner Weigerung könnte Brasilien ihn durch Interpol mit der höchsten Dringlichkeitsstufe suchen lassen. Damit könnte er auch in den USA verhaftet werden. In einem solchen Fall müsste Brasilien seine Auslieferung beantragen, was allerdings Jahre dauern könnte.
Lula hatte Bolsonaro persönlich für den Aufruhr seiner Anhänger in der Hauptstadt verantwortlich gemacht. Dieser distanzierte sich jedoch auf Twitter von den Randalierern mit dem Argument, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung und öffentliche Kundgebung keine Randale und Sachbeschädigung einschließt. Die Aktion am vergangenen Sonntag habe die Grenze des friedlichen Protests überschritten. Inzwischen sind über 1.500 Teilnehmer verhaftet worden.
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