Von Maria Müller
Der Präsident von Peru Pedro Castillo wurde am 7. Dezember durch das Parlament entmachtet und anschließend von der Polizei in Gewahrsam genommen. Als Grund werden die politischen Delikte der "Rebellion" und "Konspiration" genannt. Die gesetzliche Frist von fünf Tagen wurde inzwischen durch einen Antrag auf Untersuchungshaft seitens der Staatsanwaltschaft verlängert.
Der Experte in Strafrecht Rafael Chanján merkt an, dass in beiden Anklagepunkten dafür die Voraussetzung eines bewaffneten Aufstandes gegeben sein müsse. Es sei zu prüfen, ob Castillo neben seiner Rede an die Nation hinsichtlich seiner Vorgehensweise gegen das Parlament irgendeine Aktion in diesem Sinne unternommen habe.
Castillo schrieb aus der Haft, er fühle sich "gedemütigt, misshandelt, ohne Kontakt zur Außenwelt und entführt". Er befindet sich im Gefängnis von Lima. Obwohl Mexiko ihm politisches Asyl gewährt, ließ man ihn nicht ausreisen. Inzwischen wurde seine Vizepräsidentin Dina Boluarte vereidigt. Sie erklärte einen 30-tägigen Ausnahmezustand im ganzen Land. Ein Großteil der Bevölkerung erkennt das politisch-juristische Manöver gegen Castillo nicht an, die Lage explodiert.
Schließung des Parlaments versus Misstrauensantrag
Am 7. Dezember hat Castillo eine umstrittene Entscheidung getroffen: Er versuchte, das Parlament aufzulösen. Die peruanische Verfassung erlaubt diesen Schritt nur unter bestimmten Bedingungen – nach einem dritten Misstrauensvotum. Er wollte dem Versuch der Abgeordneten zuvorkommen, ihn mit einem politischen Misstrauensantrag abzusetzen und damit definitiv den Wählerwillen zu annullieren. Es gab bislang zwei solcher Anträge, die jedoch scheiterten. Diesmal zogen die Abgeordneten die Abstimmung zeitlich vor und erreichten ihr politisches Ziel.
Der Versuch, das Parlament zu schließen, misslang. Castillo wurde im Parlamentsgebäude festgenommen und entmachtet. Ein Teil der politischen Führungen in Südamerika nannte sein Vorgehen einen Putschversuch. Ein anderer Teil unterstützt Castillo weiterhin und erkennt seine Präsidentschaft an.
Justiz und Medien erneut an der politischen Front gegen links
Das schien das vorläufige Ende einer extrem aggressiven Kampagne seitens der Justiz und der Medien gegen Castillo zu sein. Sie hatten seit seinem Amtsantritt alles versucht, um ihn daran zu hindern, sein Regierungsprogramm umzusetzen. Justizklagen mit den inzwischen üblichen Vorwürfen gegen südamerikanische linke Regierungsspitzen wegen der "Bildung einer kriminellen Vereinigung" zwecks Bereicherung und Korruption bildeten auch in Peru die Speerspitze gegen den Präsidenten. Bei näherem Hinsehen handelt es sich jedoch – zumindest bis jetzt – eher um aufgebauschte Bagatellfälle.
Die Absetzung des Präsidenten ging zuerst ohne viel Aufhebens vonstatten. Die Streitkräfte waren einverstanden, die "öffentliche Meinung" schien den triumphierenden Nachrichtensendungen zu folgen. Doch wenig später entstand daraus der Funke, der die peruanische Prärie entzündete.
Destabilisierungsversuche seit dem ersten Tag des Amtsantritts
Der Endpunkt einer 18 Monate andauernden Destabilisierung der Regierung Castillos machte die Straßen Perus zum explosiven Ort der angestauten Wut. Nicht nur in Lima, sondern in mindestens zwölf Regionen gab es Großdemonstrationen und starke Repressionsaktionen, die bereits acht Todesopfer forderten. Die neue Präsidentin rief den Ausnahmezustand aus, die Menschen blockierten Flughäfen und Plätze sowie 60 Autobahnen, es gab zahlreiche Konfrontationen mit der Polizei und eine lautstarke Forderung des Volkes: die Schließung des Kongresses. Genau das, was Castillo vor seiner Festnahme verfügt hatte.
Neben der ständigen Mobilisierung im Zentrum von Lima haben sich vor allem in Andahuaylas, Cajamarca (Castillos Hochburg), Cusco, Apurímac und Ica die Proteste ausgeweitet.
Wie Phönix aus der Asche
Was als politischer Tod von Castillo verstanden werden könnte, führt nach der aktuellen Dynamik zur Wiederbelebung eines politischen Anführers. Castillo, der auf dem Präsidentenstuhl völlig "erstickt" schien, konnte nach seiner Absetzung eine politische Emotionalität mit starkem Potential erzeugen. Nicht nur die Politik, wie in Peru üblich, sondern das gesamte soziale Gefüge könnte dieses Mal auseinanderbrechen.
Der Sturz von Castillo, der aufgrund des Drucks von rechts an der vollen Ausübung seines Amts gehindert wurde, hat den politischen Konflikt schließlich auf ein neues Szenario verlagert: auf die Straße.
Peru war durch eine politische Tradition mit vielen Regierungswechseln gekennzeichnet. Doch im Vergleich zu den großen sozialen Konflikten, die in den letzten Jahren bei seinen Nachbarn in der Region aufgetreten sind, gab es nur minimale Ausbrüche dieser Art.
Doch heute sind Agrargewerkschaften, bäuerliche und indigene Organisationen, Zusammenschlüsse von großen Vertretungen der Bergleute, soziale Bewegungen verschiedener Bereiche, die bisher nicht so energisch mobilisiert haben, fest entschlossen auf den Straßen.
Castillo kommt selbst aus der Gewerkschaftswelt. Er ist Teil einer Geschichte des politischen Kampfes, der in sozialen Organisationen viele Verbündete und eine breite Unterstützung in den ländlichen Gebieten hatte.
Während seiner Amtszeit zog er es vor, alle rechtlich-politischen Möglichkeiten auszuspielen, um auf die Kriminalisierung und Belästigung zu reagieren, der er unterworfen war. Gleichzeitig vermied er es, zu Mobilisierungen zu seiner Unterstützung aufzurufen oder seine Reden zu polarisieren. Stattdessen hat sein Sturz nun die Straßen gefüllt.
Der Volksschullehrer vom Land, der eigentlich politisch begraben werden sollte, ist wieder zu einem führenden politischen Akteur geworden. In einer beispiellosen Situation fordern bestimmte Volksschichten die Freiheit von Castillo und die Auflösung des Kongresses. Durch seine handgeschriebenen öffentlichen Briefe aus seiner Haft sowie durch das Video seines Erscheinens vor Gericht nimmt Castillo den Puls der Proteste auf. Darüber hinaus erkennen ihn mehrere Länder immer noch als Präsidenten an.
Das Zerwürfnis mit seiner eigenen Partei schwächte den Präsidenten
Seine Partei, Peru Libre (Freies Peru), ist die politische Kraft mit den meisten Parlamentssitzen. Im Laufe der komplizierten parlamentarischen Auseinandersetzungen und zahlreichen Rücktritte von Regierungsmitgliedern hatte sich Castillo von ihr distanziert. Sie ist nun zurückgekehrt, um ihn zu unterstützen. Wird er an die Macht zurückkehren? Bis heute scheint es sehr unwahrscheinlich, obgleich die Ereignisse keine sicheren Prognosen erlauben. Die gesamte peruanische Politik gerät auf ein unvorhersehbares Terrain.
Es ist paradox, aber einige Tage nach seiner Verhaftung war die Mobilisierungskapazität Castillos größer denn je, mächtiger als während seiner gesamten Amtszeit. Nun würde er nicht mehr eine schwache und defensive Regierung darstellen wie während seiner Monate im Präsidentenamt, sondern eine politische Kraft, die die peruanische Elite stört und das Establishment in Lima bedroht.
Ist Dina Boluarte eine neue Jeanine Áñez?
Als Jeanine Añez nach dem Putsch in Bolivien 2019 zur Interimspräsidentin vereidigt wurde, hätte sie nie gedacht, dass sich die politische Realität ändern würde, und schon gar nicht so schnell. Añez wurde wegen Machtanmaßung zu zehn Jahren Haft verurteilt und für die Massaker von Senkata und Sacaba verantwortlich gemacht. Der Interamerikanische Menschenrechtsrat hatte die Ereignisse beim Umsturz in Bolivien mit dieser Kategorie beurteilt.
Da die Zahl der durch Repression getöteten Demonstranten in Peru wächst, wird die Interimsverwaltung infrage gestellt. Sie befindet sich inmitten einer Region, deren Bevölkerung sich nach links gewandt hat und einen nicht legitimierten Präsidenten im Stil von Juan Guaidó (Venezuela) oder Áñez (Bolivien) nicht anerkennen wird.
Anerkennung der Präsidentschaft Castillos
Mexiko, Bolivien, Kolumbien und Argentinien haben ihre Anerkennung der Präsidentschaft von Castillo nicht geändert. Laut dem mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador kann er aufgrund der legitimen Herkunft seines Mandats durch einen Wahlsieg "nicht abgesetzt werden".
Boluarte hat in einigen Tagen unter dem Druck der Demonstrationen und des allgemeinen politischen Klimas in verschiedenen neuralgischen Fragen nachgegeben. Sie hat das Jahr 2024 für Neuwahlen vorgeschlagen (ursprünglich 2026). Inzwischen diskutiert der Kongress über das Datum für Neuwahlen.
Es wird sich bald zeigen, ob Peru – im Gegensatz zu seinen Nachbarn – weiterhin ein Land ist, in dem der Kongress über den Willen des Volkes hinweg bestimmt, wer der Präsident sein kann.
Der Artikel ist eine Überarbeitung einer Analyse von Ociél Alí López.
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