Zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Brasilien: Lula oder Bolsonaro?

In Brasilien hat am Sonntagmorgen die Stichwahl für das Präsidentenamt begonnen. Die Wähler sind aufgerufen, zwischen dem Amtsinhaber Bolsonaro und dem Sieger des ersten Wahlgangs und früheren Präsidenten Lula da Silva zu entscheiden. Unabhängig vom Ausgang droht dem politisch tief gespalteten Land eine Zerreißprobe.

Nach einem mit äußerst harten Bandagen geführten Wahlkampf hat Brasilien am Sonntag einen neuen Präsidenten gewählt. In der Stichwahl treten der rechte Amtsinhaber Jair Bolsonaro und der linke Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gegeneinander an. Insgesamt sind im größten Land Lateinamerikas 156 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen. Lula hatte die erste Runde am 2. Oktober gewonnen, jedoch die absolute Mehrheit der Stimmen verfehlt, weshalb die Stichwahl erforderlich ist. Der 77-Jährige war bereits Präsident in den Jahren 2003 bis 2010. Die Stichwahl gilt als offen, beiden Kandidaten werden gleiche Chancen zugerechnet.

Bolsonaro gab am Morgen (Ortszeit) seine Stimme in Rio de Janeiro ab. Er trug ein gelbes T-Shirt mit der Aufschrift "Brasil" und zeigte das Victory-Zeichen. In die Kameras sagte der Amtsinhaber:

"So Gott will, werden wir heute siegreich sein. Oder besser gesagt: Brasilien wird heute siegreich sein."

Lula küsste bei der Stimmabgabe seinen Wahlzettel. Er sagte:

"Bei dieser Wahl geht es um die Entscheidung zwischen Demokratie und Barbarei, Demokratie oder Faschismus."

Das Ergebnis, wer die nächsten vier Jahre Staatsoberhaupt ist, wird in der Nacht zum Montag erwartet, aufgrund des Zeitunterschieds am Vormittag mitteleuropäischer Zeit.

In einem Dutzend brasilianischer Bundesstaaten finden zudem Gouverneurswahlen statt, etwa im bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Bundesstaat São Paulo. In der ersten Runde hatten Gefolgsleute Bolsonaros bereits eine Reihe wichtiger Gouverneursposten erobert. Seine konservative Partei Partido Liberal (PL) stellt künftig auch die stärkste Fraktion im Kongress, vor Lulas Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT).

Die Präsidentenwahl in Brasilien hat auch für den Rest der Welt Bedeutung. Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle. Angesichts der angespannten Lage auf dem Energie- und Lebensmittelmarkt wegen des Ukraine-Kriegs ist das Land mit seinen enormen natürlichen Ressourcen ein wichtiger Handelspartner. Im Fall des Siegs von Lula wird eine Stärkung der BRICS erwartet, dem Bündnis Brasiliens, Russlands, Indiens, Chinas und Südafrikas, in dem das lateinamerikanische Land unter der Präsidentschaft Bolsonaros wenig aktiv war. 

Befürchtet wird, dass es je nach Wahlausgang zur Gewalt kommen könnte. Bolsonaro hatte mehrfach Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen. Seit der Lockerung der Waffengesetze in seiner Amtszeit haben viele seiner Unterstützer aufgerüstet. Einige Anhänger des Amtsinhabers forderten auch unverhohlen einen Militärputsch.

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