Chile begeht dritten Jahrestag der sogenannten sozialen Erhebung mit Ausschreitungen und Festnahmen

In Chile ist es zu Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Polizeikräften gekommen. Es gab Berichte über Plünderungen und Akte des Vandalismus in der Hauptstadt Santiago. Die Ausschreitungen ereigneten sich am dritten Jahrestag der sogenannten sozialen Erhebung.

Am Dienstag hat Chile den dritten Jahrestag des Ausbruchs der in seiner jüngsten Geschichte beispiellosen sozialen Proteste begangen. Das denkwürdige Datum wurde jedoch von Ausschreitungen, Plünderungen und Zusammenstößen mit der Polizei überschattet. In der Hauptstadt Santiago und anderen Städten des südamerikanischen Landes versammelten sich noch am Vormittag zahlreiche Menschen, um sich wieder für die wichtigsten Ziele der Protestbewegung vom Oktober 2019 starkzumachen.

In den sozialen Netzwerken tauchten zahlreiche Videos auf, die das Geschehen auf den Straßen von Santiago zeigen. In der Nähe des Platzes Baquedano, der vor drei Jahren zum Zentrum der massenhaften Demonstrationen geworden und von den Protestierenden in den Platz der Würde umbenannt worden war, gab es ein starkes Polizeiaufgebot. Die Polizei versuchte, Gruppen von Protestierenden – überwiegend Studierenden – aufzulösen. Polizeikräfte setzten gegen Protestler Wasserwerfer und Tränengas ein.

Trotz der starken Präsenz von Sicherheitskräften schafften es Protestierende, den symbolträchtigen Platz einzunehmen. Vor diesem Hintergrund beschloss die U-Bahn von Santiago, die Stationen Plaza de Puente Alto, Santa Lucía, Universidad Católica und Baquedano vorübergehend zu schließen.

Tumultartige Szenen ereigneten sich auch in der Hafenstadt Valparaíso.

Am Rande der Proteste kam es laut Medienberichten zu Plünderungen von Geschäften und Akten des Vandalismus. In den sozialen Netzwerken macht ein Video die Runde, das zeigen soll, wie die Polizei mehrere mutmaßliche Plünderer aus einem Geschäft aufscheucht.

Im Vorfeld des dritten Jahrestags des sogenannten Estallido Social (auf Deutsch "Sozialer Ausbruch") hatte die Regierung nach eigenen Angaben im ganzen Land 25.000 Polizeikräfte ausschwärmen lassen. Nach offiziellen Angaben wurden bei den Protestaktionen landesweit 50 Menschen festgenommen, 30 davon in der Hauptstadtregion. Insgesamt 15 Zivilisten erlitten Verletzungen. Auch 13 Beamte kamen zu Schaden.

Am Montag hatte der seit dem 11. März amtierende Präsident und ehemalige Anführer der Studentenbewegung Gabriel Boric zugegeben, dass viele der im Oktober 2019 artikulierten Forderungen noch nicht erfüllt worden seien. Vor dem Hintergrund der jüngsten Proteste forderte er am Dienstag eine Aufklärung der vor drei Jahren verübten Gewalttaten durch die Polizei. In einer Demokratie sei es unabdingbar, dass Polizeigewalt untersucht und bestraft werde.

Am 18. Oktober 2019 waren in Chile massenhafte Proteste von Studierenden ausgebrochen. Ihnen schlossen sich viele weitere Menschen an, die mehr soziale Gerechtigkeit forderten. Im Oktober und November 2019 gingen in Chile täglich Tausende Menschen auf die Straße, um sich für einen besseren Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung sowie eine Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftssystem stark zu machen. Bei Zusammenstößen mit der Polizei kamen mehr als 30 Menschen ums Leben. Wegen ihres oft brutalen Vorgehens geriet die Polizei daraufhin in die Kritik.

Nach Angaben des Nationalen Instituts für Menschenrechte erlitten damals 460 Demonstranten Augenverletzungen, weil die Beamten teilweise gezielt mit Gummigeschossen in Gesichter gefeuert haben sollen. Um die Krise zu überwinden, willigte der damalige Präsident Sebastián Piñera ein, eine neue Verfassung zu erarbeiten und über deren Text in einem Referendum abstimmen zu lassen. Die neuen Statuten sollten die Verfassung aus den Zeiten des Diktators Augusto Pinochet ersetzen. Beim Volksentscheid am 4. September 2022 wurde jedoch der erarbeite Verfassungstext mit 62 Prozent der Stimmen abgelehnt.

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