Eine Analyse von Ociel Alí López
Bei einem Auftritt vor dem Ausschuss für auswärtige Beziehungen des US-Senats hat der Unterstaatssekretär des Außenministeriums für Lateinamerika, Brian Nichols, neue Sanktionsdrohungen gegen Venezuela ausgesprochen.
"Nicolás Maduro macht einen schweren Fehler, wenn er denkt, dass unsere Geduld unendlich ist und ihm Verzögerungstaktiken guttun werden. Wir sind darauf vorbereitet, mit umfassenden Sanktionen und Maßnahmen zu reagieren", sagte Nichols mit gewohnter Arroganz während seiner Rede.
Die erneute Kehrtwende der USA im Verhältnis zu Venezuela
Die neuerliche Wende macht deutlich, dass Washington kein langfristiges Konzept in Bezug auf Lateinamerika hat. Präsident Biden improvisiert und berechnet dabei seine Chancen bei den Halbzeitwahlen am achten November, die über die neue Zusammensetzung des Senats entscheiden. Die Wählerstimmen der reaktionären Exil-Lateinamerikaner in Florida haben ein starkes Gewicht.
In den letzten Monaten besuchten US-Regierungsbeamte zweimal Präsident Nicolas Maduro an seinem Regierungssitz in Caracas. Das waren Wochen der eiligen Suche nach Energieversorgung aufgrund des Krieges in der Ukraine. Venezuela hat vor kurzem noch angeboten, sein Öl an westliche Staaten zu liefern, um das "internationale Gleichgewicht" aufrechtzuerhalten.
Ende des Tauwetters zwischen Venezuela und den USA
Doch nun fällt Washington nichts Besseres ein, als in die Mottenkiste des autoritären Repertoires zu greifen, mit dem es seit Jahrzehnten eine sterile Politik gegenüber seinen Nachbarn in Südamerika praktizierte. Militärische Interventionen, Putschversuche, Sanktionen, die Aneignung wertvoller Ressourcen …
Das Weiße Hauses fordert heute von der Maduro-Regierung, den Dialog mit der Opposition wieder aufzunehmen: "Wir sind bereit, unsere Sanktionspolitik zu ändern, wenn die Verhandlungen voranschreiten und das Maduro-Regime konkrete Schritte unternimmt", sagte Nichols.
Freilassung von Alex Saab als Vorbedingung für Gespräche
Hat er vergessen, dass die Gespräche in Mexiko 2021 nach ersten Fortschritten unterbrochen wurden, als die US-Regierung Alex Saab, einen Verbündeten Maduros, gefangen nahm? Dass dessen Freilassung zur Voraussetzung der venezolanischen Regierung geworden ist, den Dialog wieder aufzunehmen?
Abgesehen davon, wie katastrophal sich Sanktionen vor allem auf Leben und Gesundheit der Menschen in Venezuela auswirken, muss man fragen, welche Chancen sie heute überhaupt haben, die von Washington verfolgten Ziele zu erreichen: den Rücktritt der Regierung und die Machtübergabe an Juan Guaidó, der allerdings nur noch in Washington beliebt ist. Ein Szenario wie aus dem Bilderbuch der CIA.
Die Regierung Maduro sitzt fest im Sattel
Doch heute sitzt die venezolanische Regierung fester im Sattel denn je, sie hat die wirtschaftlichen, politischen und sogar militärischen Angriffe überstanden. Die verschlissene Opposition unter der inzwischen unbedeutenden Figur des Juan Guaidó wird von der Bevölkerung untrennbar damit in Verbindung gebracht. Sie kämpft heute um ihr politisches Überleben und sucht nach einem neuen Profil, um ihre ehemals rechtsextrem-terroristischen Aktionen auf den Straßen von Caracas vergessen zu machen. Sie soll sogar Washington darum gebeten haben, die Politik gegenüber Venezuela zu ändern. Doch Washington macht es ihr mit diesen neuen Drohungen wie üblich schwer.
Die bisherigen Sanktionen der USA
Die nordamerikanischen Sanktionspakete – eine Blockade eines Großteils der Handels- und Finanzverbindungen mit dem Ausland – haben die venezolanische Wirtschaft hart getroffen. Direkte Sanktionen gegen die Ölindustrie bis hin zu Ersatzteilen, die Beschlagnahme des venezolanischen Goldes oder der Raffinerien und Tankstellen in den USA gehören dazu. Ganz zu schweigen von der Verfolgung von Regierungsbeamten bis hin zu einem Kopfgeld von Millionen von Dollar auf hochrangige Beamte, einschließlich des Präsidenten. Washington hat alles gegen Venezuela versucht, doch ohne Erfolg.
Internationale Agenturen haben in den vergangenen Monaten für Venezuela das höchste Wachstum der Region vorausgesagt – ein Boom aufgrund der verstärkten Nachfrage nach den venezolanischen Ölreserven. Will – und kann – Washington diese Entwicklung nun erneut mit weiteren Sanktionen verhindern?
Will Washington eine Erholung der Ölindustrie Venezuelas erneut verhindern?
Obwohl Maduro immer noch auf dem Präsidentenstuhl sitzt und von seinem Rivalen Juan Guaidó kein Risiko mehr ausgeht, haben die Sanktionen einen großen Einfluss auf das Herz der nationalen Wirtschaft: die Ölindustrie. Sie konnte sich noch nicht einmal zu einem Viertel ihrer historischen Produktion erholen. Nach jüngsten Daten der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) liegt die venezolanische Ölproduktion bei etwa 723.000 Barrel pro Tag, während die höchste Produktionszahl in der Vergangenheit bei fast drei Millionen Barrel pro Tag lag.
Die Sanktionen haben in erster Linie eine Verarmung der Bevölkerung hervorgerufen sowie eine verstärkte Migration, die sich in den ersten Jahren auf die Nachbarländer konzentrierte. Doch inzwischen erreicht sie die Südgrenze der USA, was die inneren Reibungen dort hinsichtlich der illegalen Einwanderung verstärkt.
Die venezolanische Migration geht in die USA
Wenn die USA tatsächlich noch weitere Sanktionspakete gegen Venezuela einsetzen, wird das vor allem die Völkerwanderung der Hungrigen gen Norden verstärken. Und in der Politik gibt es keine Zufälle.
Höchstwahrscheinlich wird das Thema der Migrationswellen und die wachsende Wirtschafts- und Finanzkrise, mit der Biden konfrontiert ist, sowohl bei den diesjährigen Halbzeitwahlen als auch bei den Präsidentschaftswahlen 2024 im Wahlkampf eine große Rolle spielen.
Während Unterstaatssekretär Nichols Sanktionsdrohungen vor dem Senat entstaubte, schickte der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, zwei Busse mit Migranten, die meisten davon Venezolaner, zum Amtssitz von US-Vizepräsidentin Kamala Harris, in einer deutlichen Kritik an der Politik der "offenen Grenzen" von Präsident Joe Biden.
Keine Unterstützung für Sanktionen in Südamerika
Hinzu kommt, dass sich der südamerikanische Kontinent seit den Zeiten der aggressiven Venezuela-Politik von Donald Trump stark verändert hat.
Die Lima-Gruppe existiert nicht mehr, sie ist gestorben. Sie war für Washington von entscheidender Bedeutung, um viele Jahre lang gegenüber Venezuela eine bedrohliche Interventionspolitik aufrechterhalten zu können. Die Regierungen von Peru, Argentinien, Chile und Mexiko, die die Belagerung Venezuelas politisch mitgetragen haben, haben sich geändert. Sie widmen sich heute anderen Sorgen und gehen mit Venezuela anders um. Auch in Brasilien wird innerhalb weniger Wochen eine grundlegende Veränderung stattfinden.
Neue Regierungen mit veränderten Vorzeichen
Die meisten Länder mit zuvor konservativen Regierungen haben ihr politisches Vorzeichen geändert, haben heute linke oder zumindest progressive Präsidenten. Eine neuerliche Sanktionspolitik der USA verfügt nicht über das Mindestmaß an regionalen Verbündeten, um sie durchzusetzen.
Auch der Sieg von Präsident Gustavo Petro in Kolumbien bedeutet für die USA, dass sie ihren "Brückenkopf" in der lateinamerikanischen Region verloren haben. Während der Amtszeit von Iván Duque war Kolumbien Maduros Hauptgegner.
Präsident Petro hingegen erkennt Maduro nicht nur als legitimen Präsidenten Venezuelas an, sondern betrachtete ihn sogar offiziell als einen gültigen Gesprächspartner für Probleme, die so wichtig sind wie die Verwirklichung des sogenannten "totalen Friedens" und die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit der Nationalen Befreiungsarmee (ELN). Es gibt rasche Fortschritte bei der Normalisierung der Beziehungen zwischen Kolumbien und Venezuela.
Neben all dem hat der andere große Verbündete der USA, die Europäische Union, heute andere Sorgen und versucht eher, die Ölbeziehungen zu Venezuela wiederherzustellen.
Übersetzung aus dem Spanischen.
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