Von Maria Müller
Der Präsident des mittelamerikanischen Landes El Salvador Nayib Bukele erklärte vor wenigen Tagen, die "Maras" zögen sich vor dem Druck des Militärs und der Polizei in den Städten nun aufs Land zurück. Es handelt sich dabei um streng organisierte kriminelle Banden, die seit Jahrzehnten im Land operieren und sich in der ganzen Region ausbreiten.
Er sagte: "Die Verhaftungen von Bandenmitgliedern finden immer häufiger in geheimen Lagern in ländlichen Gebieten statt. Es ist klar, dass die Banden versuchen, sich zu einer Guerilla zu entwickeln." Und weiter:
"Polizei und Streitkräfte bauen in ländlichen Gebieten täglich drei bis vier Lager ab, und in allen finden sie Waffen, Drogen, Geld, Kommunikationsgeräte, Erpressungsdokumente und natürlich Bandenmitglieder, die in fast alle Fällen das Feuer auf die Ordnungskräfte eröffnen."
Der Präsident legte am 1. Juni vor dem Kongress seinen Regierungsbericht über die bisherigen drei Jahre ab. Dabei behauptete er, El Salvador sei kurz davor, den Krieg gegen die Banden zu gewinnen, etwas, das bis vor Kurzem "viele für unmöglich hielten". Die Zahl der Verhafteten wuchs inzwischen auf 40.482 an.
Der verlängerte Ausnahmezustand
Bukele hatte am 27. März den Ausnahmezustand im Lande ausgerufen und vom Kongress die Erlaubnis einer dritten monatlichen Verlängerung erhalten. Vor dem Parlament beteuerte er:
"Mit dem Ausnahmezustand von zwei Monaten erleben die Leute bereits, wie es ist, ohne Banden zu leben."
Die Ergebnisse einer Anfang Mai durchgeführten Umfrage haben eine hohe Zustimmung für die Politik der Regierung trotz des Ausnahmezustands ergeben. Eine Umfrage des Universitätsinstituts für öffentliche Meinung (UCA) der Universität Mittelamerikas José Simeón Cañas erbrachte in einer Skala von 1 bis 10 eine Zustimmung von 7,99 Punkten. Auch fühlten sich 76,2 Prozent in den zwei ersten Monaten sicher, 88,2 Prozent sind der Meinung, dass die Kriminalität im Land derzeit zurückgegangen ist. Allerdings ist die Bevölkerung über die Fortsetzung des Ausnahmezustandes in fast zwei gleiche Hälften gespalten. Die Universität analysiert auch die in den Twitter-Accounts der Nationalpolizei gemeldeten und grafisch dargestellten Festnahmen in den Departments des Landes.
Bukele beklagt sich, dass internationale Organisationen, bestimmte NGOs und die Opposition den Gangmitgliedern "rechtlichen, medialen, politischen und finanziellen Schutz gewähren".
Zunehmend autoritäre Maßnahmen
Mit diesem Vorwurf könnte die Regierung auch versuchen, kritische Stimmen unglaubwürdig zu machen. Es werden ihr zunehmend autoritäre Praktiken vorgeworfen. Laut verschiedener mit Menschenrechten befassten NGOs haben im Jahr 2021 mindestens 50 verfolgte Personen das Land verlassen, darunter vor allem aus dem Justizbereich und der Opposition, Journalisten sowie Aktivisten aus sozialen Bewegungen. Sie alle hatten nach kritischen Äußerungen, öffentlichen Kundgebungen oder Klagen gegen Regierungsbeamte Drohungen erhalten, manchmal auch von dafür angeheuerten Bandenmitgliedern. Sie beklagten zudem eine einschüchternde Überwachung durch Sicherheitskräfte.
Wer sind die "Maras"?
Doch worum geht es bei diesem Krieg gegen die "Maras"? Was sind das für Menschen, woher kommen sie? Die zwei größten Organisationen sind die "Mara Salvatrucha" und die "Barrio 18", die jeweils mehrere Zehntausende Mitglieder zählen. Zusammen mit mehreren etwas kleineren Banden sollen sie heute insgesamt an die 70.000 Personen umfassen. Zählt man ihre Familien mit dazu, so kommen manche Analytiker sogar auf über 300.000. Stirbt ein Bandenmitglied, sorgt die Familie für Ersatz – denn sie wird dadurch mit ernährt. Die Maras kommen überwiegend aus den Armenvierteln, sie ordnen sich einem mafiosen System mit absolutem Gehorsam unter.
Oft hängen sie mit den großen Drogenorganisationen wie das Sinaloa-Kartell, das Golf-Kartell und die "Mafia Mexicana" zusammen. Diese nehmen deren "Dienste" in Sachen Drogenhandel, Erpressung, Waffenschmuggel, Entführung, Vergewaltigungen, Raub und Auftragsmorde unter Vertrag. Die Maras verfolgen die Migrantenströme in Richtung Norden, wo sie ihre Opfer für den Menschen- und den damit verbundenen Organhandel auswählen.
Die Rekrutierungsmaßnahmen der Banden
Die Banden haben eigene Gesetze, mit denen eine bedingungslose Unterwerfung der Mitglieder erreicht wird. Als obligatorisches Zeichen der Zugehörigkeit gilt das Tätowieren des Gesichts und des Oberkörpers. Wer jemals versucht, diese Markierung wieder zu löschen, bezahlt mit dem Leben. Man kann die Organisation nicht lebend verlassen. Das Eintrittsritual in die Gang ist eine Ermordung.
Demgemäß müsste jedes gefasste Mitglied die Höchststrafe erhalten. Bereits in den Schulen werden Jugendliche ab zwölf Jahren angesprochen und mit angedrohten Repressalien zwangsrekrutiert – vor Kurzem stellte man Mara-Gruppen in 34 Lehreinrichtungen fest. Viele Familien flüchten deshalb außer Landes und schließen sich den Migrantenströmen an.
Verhandlungen mit den Maras
Präsidenten verschiedener politischer Couleur versuchten mehr oder weniger verdeckt durch Verhandlungen mit den Gangsterorganisationen, einen Rückgang der Gewalt zu erreichen. Auch Bukele soll solche Absprachen getroffen haben – im Austausch gegen Zugeständnissen an die Maras (verbesserte Haftbedingungen und vorzeitige Haftentlassungen). Bukele selbst bestreitet das vehement. Doch ein abrupter Umschwung der plötzlich wieder ansteigenden Kriminalität lässt diese Interpretation zu. Die Vereinbarungen wurden von einer der beiden Seiten im März dieses Jahres gebrochen. Das hatte katastrophale Folgen.
Der Bruch des Paktes und der Krieg gegen die Banden
Der seit dem Regierungsantritt Bukeles im Juni 2019 andauernde Rückgang der Morde hatte in der letzten Märzwoche dieses Jahres ein abruptes Ende gefunden. Der Bruch erfolgte, nachdem eine Leiche provokativ auf eine Autobahn geworfen worden war, die nach Surf City führt, einem emblematischen Touristenprojekt, mit dem Bukele Investitionen anziehen will. Bukele versprach daraufhin, mit harter Hand zu antworten und von nun an einen "Krieg gegen die Banden" zu führen.
Die Geiselnahme der Bevölkerung
Die Maras reagierten ihrerseits mit dem bisher tödlichsten Wochenende in El Salvador in diesem Jahrhundert mit der Tötung von 87 Menschen – einer willkürlichen Geiselnahme der Bevölkerung. Das sei die Antwort auf einen "Verrat" durch die Behörden, bestätigte Mara Salvatrucha (MS-13) dem salvadorianischen Pressemedium El Faro. Der Grund sei das Ende eines Pakts zwischen der Regierung Bukele und den Banden.
Die Regierung setzte Tausende von Polizisten und Soldaten im ganzen Land ein, verschärfte das Strafgesetzbuch und vollzog Massenverhaftungen. In den Abendnachrichten sieht man die täglichen Festnahmen, wobei manchmal die Beschuldigungen vor den Kameras verlesen werden.
Der Ausnahmezustand
Mit dem Ausnahmezustand ab dem 27. März wurde eine Reihe von Grundrechten ausgesetzt. Laut der Universität Mittelamerikas betrifft das die Versammlungsfreiheit, die Festnahme für 72 Stunden ohne Angabe von Gründen oder die Kommunikation mit einem Anwalt ist erlaubt, die behördliche Überwachung der Post und der digitalen Kommunikation der Bürger ohne richterliche Genehmigung wurde ermöglicht. Bei Strafe bis zu 15 Jahren ist es verboten, Mitteilungen der Banden zu veröffentlichen.
Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) appellierte an den Staat El Salvador, die Ermittlung, Verfolgung und Ahndung von Straftaten rechtsstaatlich zu vollziehen. Amnesty International kritisiert unhygienische Haftbedingungen, Misshandlungen sowie unzureichende medizinische Versorgung und Ernährung. Der Kontakt zur Außenwelt bleibe versperrt. Die Justiz führt kollektive Gerichtsverhandlungen mit bis zu 500 Personen im Schnellverfahren durch. Die zuständigen Behörden seien mit der Bearbeitung der Fälle überfordert.
Auf dem Twitter-Account von Bukele sieht man erschreckende Fotos von Hunderten von Gefangenen, die hautnah aneinandergedrückt auf dem Boden sitzen. Dabei sollen miteinander verfeindete Bandenmitglieder in dieser nahen Körperstellung praktisch unbeweglich ausharren. Das ist eine Art Folter, wie man sie historisch aus brasilianischen Gefängnissen kennt.
Wie ist Bukele politisch einzuordnen?
Bukele war bis 2017 Mitglied der linken FLMN und zuvor Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador gewesen. Der 39 Jahre alte Bukele gründete die Partei "Nuevas Ideas" gegründet, nachdem ihn die FMLN wegen Beleidigung einer Parteikollegin ausgeschlossen hatte.
Er wurde im Juni 2019 im Rahmen der konservativen "Großen Allianz für die nationale Einheit" (GANA) mit 53 Prozent zum Präsidenten El Salvadors gewählt. Inzwischen hat die GANA im Kongress eine Zweidrittelmehrheit. Laut den heutigen Beurteilungen in den sozialen Netzwerken ist Bukele politisch nicht klar einzuordnen. Die Leute bezeichnen ihn sowohl als "rechts" als auch als "links" und als von den USA unabhängig. Auf jeden Fall scheint er populär zu sein, laut verschiedenen Umfragen erhielt er bis zu 80 Prozent Zustimmung.
Bukele ist wohl eher ein Produkt der geringen Erfolge der Links- und Rechtsregierungen der vergangenen 30 Jahre, die ausufernde Kriminalität unter ihre Kontrolle zu bringen und tiefgreifende Reformen im Land durchzusetzen. Letztere wurden allerdings gerade von der mafiosen Durchdringung des Staates durch die Maras erschwert.
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