Das OAS-Gipfeltreffen von Staaten in Amerika macht eine Schwächung der US-Hegemonie sichtbar

Auch in Lateinamerika gibt es heute eine Zeitenwende. Die Auseinandersetzungen um die Teilnahme am Gipfeltreffen der OAS am 6. Juni 2022 in Los Angeles, USA, zeigen ein neuerlich wachsendes Selbstvertrauen der lateinamerikanischen Staaten.

von Maria Müller

Das wachsende Selbstvertrauen der lateinamerikanischen Staaten und ihr Bewusstsein von gemeinsamen kontinentalen Interessen artikulieren sich wieder verstärkt und bedrängen die bisher gefürchtete Supermacht im Norden.

Der mexikanische Aussenminister Marcelo Ebrard betonte vor Kurzem, dass sich sein Land um den Zusammenhalt der lateinamerikanischen Region bemühen werde, weil das eine "Frage des Überlebens" sei. Dies habe sich bereits bei der COVID-19-Pandemie gezeigt:

"Wenn wir nicht zusammenstehen, existieren wir nicht, dann haben wir nicht genügend Kraft. Jeder Staat für sich alleine hat nicht genügend Stärke, um sich durchzusetzen.”  

Nach alter Gewohnheit wollten die USA hingegen gewisse Regierungen, mit denen sie im ideologischen Konflikt stehen, vom Gipfeltreffen der amerikanischen Staaten ausschließen. Dies sind Venezuela, Kuba und Nicaragua.

Dagegen wandte sich der mexikanische Präsident López Obrador und drohte, das Treffen zu boykottieren, falls die USA beabsichtigten, ihre Idee durchsetzen. Auf seiner allmorgendlichen Pressekonferenz erklärte López:

"Wir sind alle Amerikaner. Es gibt kein internationales amerikanisches Treffen, an dem ein Teil nicht anwesend ist. Sind sie denn keine Amerikaner?"

Inzwischen folgten eine ganze Reihe lateinamerikanischer Staaten dem Beispiel Mexikos. Zuerst schlossen sich die Karibikländer mit ihrer Organisation Caricom dieser Haltung an. Dann der Präsident Boliviens Luis Arce, der Präsident Nayib Bukele von El Salvador und die Präsidentin Xiomara Castro von Honduras. 

Aber auch Brasilien ließ  wissen, dass es nicht teilnehmen würde. Chile und Argentinien intervenieren gegenwärtig vor der US-Regierung, damit diese ihren Gedanken aufgibt.

"Es fehlt nur noch, dass wir den Gipfel an einem anderen Ort organisieren und die USA dazu einladen, damit niemand ausgeschlossen werden kann", kursiert als Vorschlag in den Netzwerken.

Die Situation verdeutlicht, dass Washington, D.C. in Lateinamerika gegenwärtig an politischem Terrain verliert und nicht mehr einseitige Entscheidungen diktieren kann. Die Welle an links-progressiven Wahlsiegen der vergangenen zwei Jahre zeigt Wirkung.

Doch was ist der wahre Hintergrund dieses undemokratischen Versuchs Washingtons, Staaten zu isolieren, die ihm nicht "demokratisch" genug vorkommen? Die Empörung über das Verhalten des Generalsekretärs Luis Almagro als Betreiber dieser Konflikte in Venezuela bis hin zu blutigen Auseinandersetzungen hat ihre Spueren hinterlassen.

Almagro brachte die Region an den Rand eines Krieges zwischen Kolumbien und Venezuela. In der Konsequenz hatte Mexiko bereits im August 2021 den Vorschlag gemacht, die OAS ganz abzuschaffen. Sie habe die friedenserhaltende Funktion, für die sie einst gegründet wurde, schon lange verloren. Stattdessen trage sie immer stärker zu den gefährlichen Drohungen einer militärischen Intervention der USA in Lateinamerika bei.

Auf dem vergangenen Treffen  der lateinamerikanischen Außenminister (CELAC) hatte man bereits über das Thema OAS gesprochen, bei der nächsten Zusammenkunft am 18. September soll die Arbeit dazu fortgesetzt werden. Auf dem OAS-Treffen in Los Angeles liegt die Forderung nach einer "zeitgemäßen" Organisation Amerikas auf dem Tisch. Man wünscht ein neues Instrument des gemeinsamen Handelns der amerikanischen Staaten, über ideologische und politische Differenzen hinweg.

Ob mit oder ohne OAS, es  wird Veränderungen geben. Ein weiteres Thema der Verhandlungen in Los Angeles wird das Verlangen nach einem Ende der aggressiven Zwangsmaßnahmen der USA gegen unliebsame Regierungen sein. Dem wird man sich auch in Washington stellen müssen.

Zu Recht geht die Regierung davon aus, dass in diesem neuen Kräfteverhältnis Länder wie Kuba, Venezuela und Nicaragua besonders starke Argumente vorbringen können – allein die schweren humanitären Folgen der Sanktionen für ihre Bevölkerungen lassen jeden Versuch einer politischen Rechtfertigung solcher Blockademaßnahmen verblassen.

Es gibt neue Mehrheiten. Der breite Wunsch nach gleichberechtigten Beziehungen zwischen der vereinigten Karibik, Lateinamerika und Nordamerika wird die OAS entweder grundlegend reformieren oder ins "politische Abseits" abschieben. Wahrscheinlich wird es Joe Biden schwerfallen, sich gegen diese geschlossene Front existenzieller Interessen des Südens durchzusetzen.

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