von Maria Müller
US-Präsident Joe Biden verdeutlichte bereits, dass er die konfrontative Außenpolitik seines Vorgängers Donald Trump fortsetzen will. Nach einer ersten Prüfung der Kräfteverhältnisse zusammen mit den Verbündeten im asiatischen und lateinamerikanischen Raum berät der US-Senat derzeit über die Lage. Die Chefs der Nord- und Südkommandos sprachen am 16. März vor dem Verteidigungsausschuss des US-Kongresses.
Im Vordergrund ihrer geostrategischen Überlegungen steht dabei der wachsende Einfluss Chinas und Russlands vor der eigenen Haustür. Admiral Craig Faller, Chef des Südkommandos, erklärte:
"Ich betrachte diese Hemisphäre als die vorderste Frontlinie des Konkurrenzkampfes."
Faller warnt davor, dass Peking hier eine "weitreichende Initiative" entwickle. "Ich empfinde ein Gefühl der Dringlichkeit", fügte er hinzu. "Unser Einfluss schwindet." Und: "Diese Hemisphäre ist unsre Nachbarschaft, die Nähe hat Gewicht!"
Konteradmiral Michael Studeman, der Oberkommandierende der US-Streitkräfte für den indopazifischen Raum, hatte bereits einige Tage zuvor eine generelle Gefahr für die Vereinigten Staaten ausgemacht. Da man nicht in der Lage sei, die Präsenz der chinesischen Streitkräfte im Pazifik einzuschränken, fühle sich Peking zu einer immer aggressiveren Haltung ermutigt. Studeman kann sich offenbar nur vorstellen, dass China so handelt, wie die USA es immer getan hatten:
"Wir werden auf eine chinesische Armee treffen, die als globale Eingreifarmee an jedem Ort der Welt interveniert, wo sie glauben, dass chinesische Interessen gefährdet sind", warnte er.
Die Chefs der US-Streitkräfte begreifen jede Zusammenarbeit lateinamerikanischer Regierungen mit China und Russland als eine Bedrohung der eigenen Sicherheit. So beklagen Faller und Studeman auch, dass Russland und China seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie mit den Vakzinen Sputnik V und Sinovac eine regelrechte "Impfstoffdiplomatie" in der Region entfacht hätten. Damit erreichten sie einen wachsenden Einfluss – während die USA den Export der Vakzine verbieten, um sich den Eigenbedarf zu sichern.
Gefährlich sei zudem, dass als Nachhut der Medikamente die chinesische G5-Technologie in diesen Ländern an Boden gewinne. Das Gleich, so versicherte General Glen VanHerck, Chef des US-Kommandos für den karibischen Raum und Mexiko, spiele sich auch auf den Bahamas-Inseln und in Mexiko ab.
Besonders die medizinischen Hilfsprogramme Chinas und Russlands mit Tonnen von gespendeten Medikamenten, darunter auch an das von Washington geschmähte Venezuela, seien eine Art verdeckter Aggression. Schließlich würden damit die US-Sanktionen unterlaufen. Auch die kubanischen Ärztebrigaden seien als verkleidete Propagandatruppen zu verstehen, um antiamerikanischen Gefühlen in Lateinamerika den Boden zu bereiten.
Eine weitere Bedrohung stelle der angebliche Propagandafeldzug der russischen Medien im Süden des Kontinents dar.
"Moskau arbeitet daran, die USA in Misskredit zu bringen, indem es den Nachrichtenraum der Region mit Desinformation überflutet. Hunderte von Artikeln stellen die Sicherheitsaktionen der USA verzerrt dar. Im Jahr 2020 haben dort russischsprachige Medien ihre Leser und Zuschauer in den sozialen Medien von 7 Millionen auf über 18 Millionen erhöht", so Faller in seinem schriftlichen Statement für den Senat.
In Bezug auf die militärischen Interessen Russlands vor der Haustür der USA kritisierte Faller, dass Moskau immer häufiger die Nutzung von Seehäfen in der Region beantrage. Moskau habe "seinen Zugang zu Luft und zur See erweitert, um seine militärische Macht zu projizieren". Es gebe Übereinkünfte mit Venezuela und Nicaragua, die es russischen Kriegsschiffen erlaubten, kurzfristig die Häfen dieser Länder zu benutzen. Das alles sei der Gegenzug Russlands für das Eindringen der USA in den russischen Einflussbereich in Europa.
VanHerck legte im Rahmen der Konsultationen weiter nach: China, Russland und andere "bösartige" Akteure würden ihre eigenen Interessen in Lateinamerika "auf Kosten der Souveränität unserer Partner" durchsetzen und verstärkten damit die Wirkung des international organisierten Verbrechens und gewalttätiger extremistischer Organisationen. Das bedrohe auch die Sicherheit des US-amerikanischen "Homelands".
Ein solcher Zusammenhang wurde bisher in den US-Narrativen nicht aufgestellt. Der Drogen-, Waffen- und Menschenhandel wird nun in die Nähe des globalen Konkurrenten gerückt. Faller: Die wachsende "chinesische Geldwäsche" sei dafür ausschlaggebend.
Länder mit linken Regierungen wie Venezuela, Nicaragua und Kuba hätten einen "böswilligen Einfluss" auf andere Regierungen in der Karibik. Nicht zuletzt würden diese unliebsamen Staaten Terroristen wie die kolumbianische Ejército de Liberación Nacional (ELN) unterstützen.
Außerdem würden die Organisation Hisbollah und der "Islamische Heilige Krieg" (IJO) in Lateinamerika logistische Unterstützung und Gelder von den libanesisch-stämmigen Bevölkerungsanteilen erhalten. Auch Al-Qaida und der "Islamische Staat" (IS) könnten sich in der Region auf Sympathisanten stützen.
Ertrinkende ergreifen jeden Rettungsring
Doch bei den Besprechungen im US-Senat kam auch die Realität in der Region auf den Tisch. Beim Austausch mit südamerikanischen Partnern hätten diese gesagt:
"Wir würden schon gerne die Beziehungen zu Euch verbessern, doch wenn man ertrinkt, ergreift man jeden Rettungsring."
Die Rettungsringe kommen in Gestalt von umfassenden chinesischen Investitionsprojekten in Sachen Infrastruktur sowie großzügigen Krediten, durch die die Handelsbeziehungen aber auch die wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit erweitert wird, einschließlich Verträgen über die gemeinsame Ausbeutung von Ressourcen und Bodenschätzen.
Das chinesische Projekt der globalen Seidenstraße für internationale Handelsbeziehungen bietet auch für Lateinamerika eine langfristige Entwicklungsperspektive. Was China und Russland dort zudem sympathisch macht: Sie haben bis jetzt noch keinen Putschversuch unterstützt und üben deutliche Zurückhaltung, was die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten des südlichen Kontinents betrifft.
Militärische Lösungen, politische Hilflosigkeit
Was bedeutet das finstere Panorama, das die US-amerikanischen Generäle und Admirale zeichnen? Werden in Zukunft Wirtschaftsbeziehungen mit China und Russland sanktioniert? Oder müssen die lateinamerikanischen Staaten womöglich mit US-militärischen Strafexpeditionen rechnen – ganz so wie in den Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts?
Das Pochen auf die militärische Konfrontation erscheint politisch hilflos. Handelt es sich doch in erster Linie um Wirtschaftsprobleme von Gesamtamerika. Auch Sanktionen würden die Latinos unweigerlich noch mehr in die Arme Russlands und Chinas treiben. Die Interessen der USA müssten sich eigentlich in erster Linie darauf richten, eine stabile Wirtschafts-und damit Konsumentenzone im Süden zu entwickeln.
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