von Maria Müller
Am Sonntag fanden in dem südamerikanischen Land Ecuador Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Rund 13 Millionen Menschen waren unter Pandemie-Maßnahmen zum pflichtgemäßen Urnengang aufgerufen, um eine neue Regierung und 137 Volksvertreter zu bestimmen. Insgesamt gab es 15 Kandidaten und eine Kandidatin. Man registrierte eine hohe Wahlbeteiligung.
Die Ergebnisse im Einzelnen
Die Ergebnisse der Schnellberechnungen in der Nacht zum Montag machen Andrés Arauz von der Partei "Allianz Einheit für die Hoffnung" (UNES) zusammen mit seinem Vize Carlos Rabascall zum Wahlsieger. Arauz erreichte 32,2 Prozent der Stimmen. Sein Rivale Yaku Pérez von der Indigenenbewegung Pachakutik erhielt 19,8 Prozent und liegt nun knapp vor dem neoliberalen Bankier Guillermo Lasso von der Partei CREO mit 19,6 Prozent. Die Überraschung brachte ein vierter Kandidat, der sozialdemokratische Unternehmer und politische Neuling Xavier Hervas von der Demokratischen Linken, der 16 Prozent erreichte. Die übrigen elf Kandidaten brachten es zusammen auf weniger als zwei Prozent.
Damit wird eine Stichwahl am 11. April notwendig. Denn nach der ecuadorianischen Verfassung braucht ein Kandidat entweder über 50 Prozent der Stimmen oder 40 Prozent und einen Vorsprung von über zehn Prozent auf den nächsten Rivalen, damit ein Wahlsieg schon in der ersten Runde anerkannt wird.
Der junge Arauz (36 Jahre) und der Journalist Rabascall (60 Jahre) sind die politischen Erben des Ex-Präsidenten Rafael Correa (Präsident von 2007 bis 2017). Sie versprechen, sein progressives Wirtschafts- und Sozialkonzept wieder einzuführen, das dem Land zehn Jahre lang eine stabile Entwicklung mit positiven Wirtschaftsdaten beschert hatte.
Der Urnengang ging ruhig und diszipliniert vonstatten. An manchen Wahllokalen stauten sich lange Schlangen, die sanitären Sicherheitsmaßnahmen verlangsamten die Vorgänge an den Wahltischen. Nicht immer wurden die Sicherheitsabstände eingehalten.
Die Politik Correas erfährt erneute Anerkennung
Das Ergebnis bedeutet ein Sieg für die progressiven Kräfte Ecuadors und eine politische Anerkennung für das Werk Correas, den Arauz im Wahlkampf als einen seiner wichtigsten Berater bezeichnete.
Arauz stellte gegenüber der Presse allerdings sein eigenes Profil heraus:
"Rafael Correa ist ohne Zweifel eine bedeutende Persönlichkeit, nicht nur in Ecuador, sondern auch in ganz Lateinamerika, und seine Empfehlungen sind sehr willkommen. Er wird einer der ersten Berater meiner Regierung sein. Wir werden niemals seine historische Bedeutung negieren. Doch wir werden die Verfassung der Republik anwenden. Der Präsident werde ich sein, und die Entscheidungen werde ich treffen."
Noch kurz vor der Wahl machten laut Umfragen die Unentschlossenen fast die Hälfte des Stimmenpotenzials aus. Schließlich gab es über neun Prozent an ungültigen Wahlzetteln. Die dramatische Wirtschaftslage und die Massenverarmung unter dem neoliberalen Präsidenten Lenín Moreno, die durch die Pandemie noch verschärft wurden, zwingen die Menschen, sich auf das tägliche Überleben zu konzentrieren. In ihrem Alltag gibt es kaum noch Raum für politische Debatten. Das Interesse an politischen Parteien und am demokratischen System geht zurück.
Die Regierung von Moreno zog alle juristischen Register, um Correa und das Bündnis seiner Anhänger daran zu hindern, an den Wahlen teilzunehmen. Bis vor wenigen Tagen war zudem unklar, ob die Stimmabgabe nicht auf den April verschoben wird, weil die Wahlbehörde sechs Millionen Wahlzettel falsch gedruckt hatte. Bereits im September vergangenen Jahres forderte Arauz in einem dringenden Appell EU und UNO auf, die Vorgänge im Vorfeld der Wahlen durch Experten zu kontrollieren.
Insgesamt waren am Stichtag über 3.000 nationale und internationale Wahlbeobachter in ganz Ecuador zur Stelle, darunter eine Mission der Organisation der amerikanischen Staaten (OAS) und eine der Europäischen Union (MEMO 98). Letztere hatte zuvor digitale Ausbildungskurse für Wahlhelfer organisiert.
Der hochqualifizierte Andrés Arauz
Arauz, der den Wahlkampf vielerorts mit seinem Fahrrad führte, hat eine ungewöhnliche akademische und institutionelle Karriere im Wirtschafts- und Finanzbereich an Universitäten der USA, Mexikos und Ecuadors absolviert. Unter dem damaligen Präsidenten Correa war er Planungs- und Entwicklungssekretär, Berater im Finanzministerium sowie Generaldirektor der Zentralbank und Kulturminister. Eine von Arauz und dem Ökonomieprofessor Rabascall geführte künftige Regierung muss eine Antwort auf die gegenwärtige Verschuldung des Landes beim Internationalen Währungsfonds (IWF) finden, die von Moreno verursacht wurde.
Die mit dem IWF vereinbarten Sparauflagen für einen Kredit von 6,5 Milliarden US-Dollar führten zu über 3.680 gestrichene Stellen im Gesundheitssektor und sind mit für die höchste Sterberate in Lateinamerika verantwortlich. Ecuador erreichte im Jahr 2020 die Ziffer von 40.000 Toten im Rahmen der Epidemie, im Verhältnis zu seiner Bevölkerung ist sie doppelt so hoch wie die der USA.
Arauz will die Zahlungsbedingungen neu verhandeln. Er erklärte, er habe sich mit Vertretern des Fonds getroffen und ihnen verdeutlicht, dass die mit der gegenwärtigen Regierung Moreno vereinbarten Zusagen unerfüllbar sind. Er werde im Falle seiner Regierungsübernahme einen eigenen Plan vorlegen, der sich auf eine Reaktivierung des internen Konsums stützt, um der Wirtschaft wieder neue Impulse zu geben.
"Wir haben ihnen gesagt, dass wir die öffentlichen Finanzen allmählich sanieren werden, aber dass wir die Würde der ecuadorianischen Familien respektieren. Sie haben geantwortet, dass sie das als einen rationalen Weg betrachten, dass man das überall so macht. Doch hier wurden die Interessen gewisser Banken priorisiert."
Und weiter:
"Zurzeit hat Ecuador ein Negativwachstum von fast zehn Prozent. Die Armut und die Ungleichheit wachsen, das soziale Gefüge und die Fähigkeiten zur Produktion brechen zusammen."
Arauz schlägt als unmittelbaren Schritt vor, einer Million der ärmsten ecuadorianischen Familien einen Not-Bonus von 100 US-Dollar auszuzahlen, damit sie unter den Bedingungen der Pandemie überleben können. Des Weiteren will er die Wirtschaftsprojekte aus der Regierungszeit von Correa wiederbeleben und dabei den Staat als regulierende Kraft stärken. Er plant, die Dollarisierung des Landes beizubehalten und zu "stärken".
Yaku Pérez und der Schutz vitaler Umweltinteressen
Pérez (51 Jahre), der Präsident der Indigenenorganisation Pachakutik und der Konföderation der Kichwa-Völker, hat den neoliberalen Kandidaten Lasso bei den Auszählungen knapp überrundet und konkurriert nun mit Arauz. Pérez ist Doktor in Jura und auf die traditionelle Rechtssprechung der indigenen Völker Ecuadors spezialisiert. Außerdem studierte er Umweltrecht. In den Umfragen lag er stets an dritter Stelle, denn niemand befragte die Menschen in den abgelegenen Gegenden des Landes, vor allem des Amazonas.
Pérez hingegen stützt sich auf diesen Teil der Bevölkerung. Er repräsentiert eine oppositionelle Bewegung, die sich sowohl gegen die frühere Umweltpolitik mit ihrer verstärkten Ölförderung unter Correa als auch gegen die Politik Lassos stellt. Dieser Teil der Bevölkerung kämpft dagegen an, dass der verstärkte Abbau der Bodenschätze große Gebiete der Regenwälder verseucht. Er verteidigt seine Landrechte und seine traditionellen Lebensgrundlagen.
Pérez will eine Volksbefragung durchführen, um den Abbau von Mineralien in Gebieten mit Trinkwasserreserven zu stoppen. Schürfrechte zur Ölförderung sollen eingeschränkt werden. Die von Moreno mit dem IWF ausgehandelten Zahlungsbedingungen seien nicht zu erfüllen, da sie die Souveränität des Landes verletzen. Die Auslandsverschuldung des Landes von rund 17 Milliarden sollen neu verhandelt werden.
Guillermo Lasso setzt auf eine verdoppelte Ölförderung
Der nun an dritter Stelle knapp ins Hintertreffen geratene millionenschwere Bankier und Finanzspekulant Lasso (65 Jahre) will private Investoren mit Steuergeschenken ins Land locken und Kosten durch den Abbau des Staatsapparates einsparen. Vor allem will er die Ölförderungskapazitäten durch Privatinvestitionen mit lukrativen Bedingungen mittelfristig verdoppeln und die Bodenschätze verstärkt abbauen. Damit könne man das Haushaltsdefizit ohne Steuererhöhungen ausgleichen, ohne das Land noch weiter zu verschulden. Er kritisiert Teile des Sparprogramms von Moreno, vor allem will er die Mehrwertsteuer nicht erhöhen.
Für die zweite Runde, die über den endgültigen Präsidenten Ecuadors entscheidet, werden sich die Kandidaten auf Verhandlungen und Allianzen mit den politischen Organisationen stützen müssen, die am Sonntag die meisten Stimmen erhielten. In der gegenwärtigen tiefen Krise des Landes wird nur eine Politik des breiten Konsens Erfolg haben können.
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