Der russische Außenminister Sergei Lawrow hat in einem schriftlichen Interview für das Medienunternehmen Rossija Sewodnja eine kurze außenpolitische Bilanz des scheidenden Jahres gezogen. Der Minister bezeichnete das Jahr 2020 als schwer. Als eine der Ursachen dafür nannte Lawrow die COVID-19-Pandemie: Die sanitäre Krise habe Politik, Diplomatie und Wirtschaft negativ beeinflusst. Auch die alten Herausforderungen wie Terrorismus und Drogenhandel seien nicht verschwunden.
Der russische Chefdiplomat bedauerte, dass die anhaltende Corona-Krise zu keiner internationalen Solidarität geführt habe. Einer der Gründe dafür liege darin, dass einige westliche Länder mit den USA an der Spitze nicht bereit seien, mit anderen internationalen Akteuren gleichberechtigt zusammenzuarbeiten:
"Unsere westlichen Kollegen nutzten weiterhin aktiv ein breites Inventar illegaler Instrumente – von Druckausübung mit Gewalt bis hin zu Informationskriegen."
Den Charakter der russischen Außenpolitik beschrieb Lawrow als "vielseitig" und "unabhängig". Moskau sei an guten Beziehungen zu allen Partnern in ausnahmslos allen Regionen der Welt interessiert. Gleichzeitig berücksichtige die Staatsführung auch die "tektonischen Verschiebungen in der globalen geopolitischen Landschaft":
"Der Fokus der globalen Politik und Wirtschaft rückt vom euro-atlantischen Raum nach Eurasien, wo sich aufsteigende Weltzentren dynamisch entwickeln. Indem sie sich auf eigene jahrhundertelange Traditionen stützen, haben sie ihre wirtschaftliche und technologische Souveränität erlangt und stärken sie weiter. Sie setzten eine unabhängige außenpolitische Linie durch und erzielen damit beeindruckende Erfolge in diversen Bereichen."
Vor diesem Hintergrund nannte Lawrow es logisch, dass Moskau seine Kooperation mit den Ländern der asiatisch-pazifischen Region steigere. Diese Partnerschaft habe einen langfristigen und strategischen Charakter.
Der Chefdiplomat stellte zugleich mit Bedauern fest, dass mit einer baldigen Besserung des bilateralen Verhältnisses mit den USA bislang nicht zu rechnen sei. Der russisch-amerikanische Dialog sei zur Geisel eines inneramerikanischen politischen Streits geworden und die "antirussische Hysterie", die Amerika überflutet habe, gebe einer baldigen Rückkehr zur Normalität keine Chance. Zugleich sagte Lawrow, dass das Potenzial der russisch-amerikanischen Beziehungen nicht ausgeschöpft sei. Es gebe viele dringliche Probleme. Für ihre Lösung sei ein politischer Wille der US-Seite erforderlich:
"Man braucht nicht unbedingt zu versuchen, alle Probleme mit einem Schlag zu lösen. Man kann nach der Logik der 'kleinen Schritte' interagieren. Wir sind zu einer solchen Arbeit bereit, aber nur, wenn sie sich auf dem Grundsatz der Fairness und des Interessenausgleichs gestalten wird."
Lawrow brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass das neue Team im Weißen Haus eine Wahl im Interesse des US-Volkes treffen und sein Streben nach einer Verbesserung des Dialogs mit Moskau bekunden werde. In diesem Zusammenhang erwähnte der russische Außenminister den im kommenden Februar ablaufenden START-III-Vertrag:
"Nach seinen Statements in den Medien zu urteilen, ist das Team des gewählten Präsidenten Joe Biden im Unterschied zu unseren jetzigen Gesprächspartnern nicht daran interessiert, den START-III-Vertrag in die Geisel seiner Ambitionen zu verwandeln und zu versuchen, wissentlich unrealistische Ansprüche und Positionen durchzusetzen."
Sollte dies tatsächlich so sein, dann seien die Chancen auf eine Verlängerung des Abkommens dem russischen Chefdiplomaten zufolge nach wie vor gegeben. Damit auch weitere Verhandlungen über Rüstungskontrollen erfolgreich wären, sollte Washington allerdings seine Bereitschaft an den Tag legen, Moskaus Interessen und Bedenken zu berücksichtigen.
Auch das Schicksal des Open-Skies-Abkommens bezeichnete Lawrow als ungewiss. Nach der einseitigen Aufkündigung des Vertrags durch die USA habe Russland noch keine rechtsverbindlichen Garantien bekommen, dass die restlichen Teilnehmer des Abkommens nach ihren Beobachtungsflügen über Russland keine Daten mehr an die USA weitergeben würden. Sollten die restlichen Partner im Rahmen des Open-Skies-Abkommens am Gängelband der USA gehen, dann ließen "harte" Gegenmaßnahmen Russlands nicht lange auf sich warten.
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