Während der aus dem Amt gedrängte Präsident Boliviens, Evo Morales, sich aus dem Exil gegen die Anschuldigung angeblicher Beteiligung an der Organisierung von Protesten und gegen eine Anklage wegen "Terrorismus" wehrt, erhält der Präsidentschaftskandidat seiner Partei MAS (Bewegung zum Sozialismus) bei den Wahlumfragen überragenden Zuspruch.
Am Montag legte die bolivianische Staatsanwaltschaft eine formelle Anklage gegen Evo Morales angeblich aufgrund von "Terrorismus" und "Finanzierung des Terrorismus" vor.
Der ehemalige bolivianische Präsident wertete dies als Versuch der Staatsanwaltschaft von La Paz, ihn auf "illegale und verfassungswidrige Weise" ohne vorherige Ankündigung und auf der Grundlage "veränderten Tonmaterials" wegen Terrorismus anzuklagen, wie er auf Twitter mitteilte.
Für Morales ist dies "ein weiterer Beweis für die systematische politische Verfolgung durch die De-facto-Regierung" unter der Leitung von Jeanine Áñez. Doch er kündigte an, dass "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bald nach Bolivien zurückkehren werden".
Der Prozess gegen den ersten indigenen Staatschef Lateinamerikas wurde als "Audio-Fall" bezeichnet, weil die Putschregierung im November 2019 ein angebliches Gespräch zwischen Evo und dem Anführer der Koka-Bauern, Faustino Yucra Yarhu, ausgestrahlt hat, in dem behauptet wird, dass der ehemalige Präsident von seinem Exil aus Blockaden in den wichtigsten Städten koordinierte, um die Einfuhr von Nahrungsmitteln und Treibstoff in den Tagen nach dem Staatsstreich zu verhindern, den er durch die bolivianischen Ultrakonservativen erlitt. Die Authentizität der Aufnahme ist umstritten. Morales hat die Anschuldigungen von Anfang an zurückgewiesen und darauf hingewiesen, dass das Tonmaterial eine Montage ist, welche die selbsternannte Präsidentin Jeanine Áñez in Umlauf gebracht hat, um ihn aus der bolivianischen Politik- und Wahlszene herauszuhalten.
Trotz des fadenscheinigen Charakters der Anschuldigungen wurde Faustino Yucra im April verhaftet und wegen krimineller Vereinigung, öffentlicher Anstiftung zu einem Verbrechen, illegaler Herstellung von Sprengstoffen, Terrorismus, Aufruhr und Terrorismusfinanzierung in Untersuchungshaft genommen.
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Es war nicht das erste Mal, dass die Putschregierung über die bolivianische Generalstaatsanwaltschaft Anklage gegen Evo Morales erhebt und seine Verhaftung beantragt. Im Dezember letzten Jahres baten sie Interpol, seinen Aufenthaltsort zu ermitteln und seine Verhaftung zu veranlassen, aber die Institution lehnte den Antrag Ende Januar ab. Die Vorwürfe wegen Wahlbetrugs, die Ende 2019 zum Putsch von Evo Morales geführt hatten, sind inzwischen von Wahlexperten der US-amerikanischen Universitäten von Pennsylvania und Tulane widerlegt worden. Derweil befürchten Beobachter, dass mit der Anklage gegen die MAS gezielter Wahlbetrug vorgebereitet wird.
Geplante Neuwahlen hat die De-facto-Regierung bereits mehrfach verschoben. Zuletzt wurden Neuwahlen, die im Mai hätten stattfinden sollen, auf den 6. September verschoben, was Áñez mit der COVID-19 -Pandemie begründete. Dabei schätzt das Kabinett, dass die Pandemie erst Anfang September in Bolivien einen Höhepunkt erreichen könnte.
Abgesehen von der Pandemie und den Anschuldigungen gegen die MAS stehen die Aussichten für die selbsternannte Regierung nicht günstig, sich ihren Machtanspruch für Bolivien durch Wahlen legitimieren zu lassen. Dabei wäre es die einzige Aufgabe einer Interimsregierung, demokratische Neuwahlen auszurufen.
Laut aktuellen Umfragen könnte der Präsidentschaftskandidat der MAS, Luis Arce, einen Sieg in der ersten Runde erringen, während die selbsternannte Regierung mit großem Abstand hintenansteht.
Die Verschiebung der Wahlen und damit einhergehende Unsicherheit für die Bolivianer, die derzeit zudem unter hohen COVID-19-Fallzahlen leiden, kritisiert auch der ehemalige Präsident und Konkurrent von Morales, Carlos Mesa, der laut der Umfrage mit mehr als 15 Punkten Differenz nach Arce an zweiter Stelle steht.
Sowohl Luis Arce als auch Carlos Mesa verweisen auf die für Sonntag anstehenden Wahlen in der Dominikanischen Republik, wo die COVID-19-Infektionsrate ähnlich hoch wie in Bolivien ist. Als mögliche Maßnahmen, wie eine Wahl trotz der Pandemie durchgeführt werden könnte, schlugen sie eine Verlängerung der Wahlzeit auf zehn Stunden, verpflichtende Desinfektionen, Masken, Handschuhe und Ausstattung mit antibakteriellem Gel sowie die Einhaltung eines Abstands von eineinhalb Metern in den Wahlreihen vor.
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Sieben US-Senatoren, darunter Bernie Sanders, forderten am Dienstag in einem Schreiben an den US-Außenminister Michael Pompeo, die Abhaltung freier Wahlen ohne Verfolgung der Opposition am 6. September zu garantieren. Darin verweisen sie auf die bedenkliche Weise, mit der Áñez versuche, sich an der Macht zu halten, und zudem auf schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch repressive Maßnahmen gegen Demonstranten, welche bisher zum Tod von 36 Menschen, 833 Verletzten und 1.504 Inhaftierten durch das Militär und die Polizei in Bolivien führten.