Venezuela: Überraschende Vereinbarung zwischen Regierung und Opposition über Goldreserven

Die eingefrorenen Millionensummen der venezolanischen Staatsbank könnten durch eine pragmatische Lösung bald freikommen. Die für Lateinamerika zuständige WHO-Organisation PAHO unterschrieb am 1. Juni einen Vertrag mit der venezolanischen Regierung und Opposition.

von Maria Müller

Beide Seiten der innenpolitischen Konfrontation haben sich in der Vereinbarung verpflichtet, angesichts der COVID-19-Pandemie über die politischen Gräben hinweg der medizinischen und humanitären Versorgung der Bevölkerung absoluten Vorrang zu geben. Wochenlange Verhandlungen gingen der definitiven Übereinkunft voraus.

Vertrag über eine treuhänderische Verwaltung

Carlos Alvarado, der Gesundheitsminister der Regierung von Präsident Nicolás Maduro, sowie Julio Castro, der Berater des Parlaments in Gesundheitsfragen, ratifizierten das Dokument. Als Vertreter der PAHO firmierte Dr. Gerardo de Cossio, der Chef der internationalen Organisation in Venezuela. Die konstruktive Rolle der Vereinten Nationen und deren Gesundheitsorganisation haben entscheidend zu diesem Fortschritt beigetragen.

Vor allem die Zusage, dass beide Seiten sich gemeinsam um internationale Finanzierungsquellen für ein Hilfsprogramm bemühen werden, ist bemerkenswert und war noch vor wenigen Wochen undenkbar. Sie macht den Weg frei für den Transfer der in internationalen Banken eingefrorenen Vermögenswerte Venezuelas.

Zu den Vertragsunterzeichnern gehören politische Parteien, die sich dem Umsturz um jeden Preis verschrieben haben. Ihnen gehören die Hardliner Juan Guaidó und Leopoldo López sowie Henrique Capriles und Julio Borges an. Ihre nun erklärte Bereitschaft zu einer konstruktiven Zusammenarbeit brachte ihnen Kritik aus den eigenen Reihen ein, wurde diese dort doch als Rückzug und Verrat wahrgenommen. 

Die PAHO erklärte sich als dritter Unterzeichner des Dokuments offiziell dazu bereit, Geldquellen aus den im Ausland blockierten Gold-Millionen Venezuelas treuhänderisch entgegenzunehmen, zu verwalten und unter ihrer Regie humanitären Zwecken zuzuführen. Die Venezolaner hatten ihre technische und institutionelle Hilfe beantragt.

Milliardensummen Venezuelas in Euro-Banken

Auf diese Weise wird einem der Hauptargumente gegen die Rückgabe der eingefrorenen Besitztümer der Wind aus den Segeln genommen. Banken in England und anderen westliche Staaten, die solche Gelder im Zuge der US-Sanktionen gesetzeswidrig bunkerten, hatten bisher behauptet, angesichts von zwei Präsidenten Venezuelas nicht zu wissen, wem sie diese Guthaben übergeben sollten.

So in Spanien (Banco de España mit 2,5 Millionen Euro), Portugal (Novo Banco mit 1,7 Milliarden Euro) und Deutschland (Deutsche Bank mit 123 Millionen Euro). Sie gehören mit der Bank of England (rund eine Milliarde Euro) zu dieser Piratenriege. 

Angesichts der horrenden Summen, die der Bevölkerung Venezuelas dadurch geraubt werden, gehört schon ein gehöriges Maß an Zynismus dazu, gleichzeitig einen humanitären Notstand in Venezuela zu beklagen.

Ein weiterer Mechanismus für die gesetzeswidrige Aneignung der fremden Reichtümer war, dass man der Regierung von Präsident Maduro bzw. den Autoritäten der Venezolanischen Zentralbank die Glaubwürdigkeit absprach, die Gelder uneigennützig zu verwenden.

Die UNO ist neutral und kompetent

Das könnte nun alles hinfällig werden. Die Vereinten Nationen und deren Organisation WHO bzw. PAHO sind ohne jeden Zweifel eine neutrale, kompetente Instanz für die notwendigen Investitionen im Gesundheitssektor und die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten und Nahrungsmitteln. Der direkte Sanktionsdruck der USA mit seinen vielfältigen Auswirkungen auf den Lebensalltag der Bevölkerung wird damit zumindest in existenziellen Bereichen gemindert.

Im Vertragstext werden des Weiteren eine Reihe von Maßnahmen definiert, die zum Eindämmen der Epidemie angewendet werden sollen. So vor allem die enge Zusammenarbeit des öffentlichen und privaten Gesundheitswesens, wodurch die vorhandenen Ressourcen effektiver zum Einsatz kommen. Alle weiteren im Vertrag festgelegten Maßnahmen sind jedoch bereits seit Beginn der Epidemie gängige Praxis, wie den täglichen Informationen der Regierung zu entnehmen ist.

Der UN-Generalsekretär António Guterres begrüßte auf Twitter die Vereinbarung und ermutigte die Vertragspartner, die Vorgaben mit Humanismus, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit umzusetzen.

Arbeitstreffen der PAHO mit Vertragspartnern

Am 9. Juni fand das erste gemeinsame Arbeitstreffen der Vertragsseiten statt.

In einer Erklärung auf der Webseite der PAHO heißt es:

Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (PAHO) bekräftigt erneut ihre Verpflichtung, das Volksministerium für Gesundheit (MPPS) Venezuelas und das Beraterteam der Nationalversammlung bei ihren Massnahmen gegen die  Pandemie durch COVID-19 zu unterstützen. Dazu gehört auch die Suche nach Finanzmitteln für verbesserte Kapazitäten, mit denen das Land diesem Notfall begegnen kann.

Die Zeilen bezeugen die Bereitschaft, das umfangreiche venezolanische Staatsvermögen aus dem Ausland treuhänderisch entgegenzunehmen, zu verwalten und Investitionen in der medizinischen Infrastruktur zu tätigen.

Frau Dr. Carissa F. Etienne, die Direktorin der PAHO, erklärte:

COVID-19 war für die meisten Länder ein Problem, aber diese Pandemie gibt uns auch die Möglichkeit, die Gesundheitsfrage als Brücke zum Frieden zu nutzen.

Erste vereinbarte Maßnahmen

Auf dem ersten Arbeitstreffen vereinbarten die Teilnehmer, Schutzausrüstungen für das Gesundheitspersonal sowie Medikamenten und Hilfsmitteln für die Behandlung der Virusinfektion den Vorrang zu geben. Diagnosetests sollen dezentralisiert werden. Man will alle Anstrengungen auf die Versorgung der am stärksten betroffenen Departments des Karibikstaates konzentrieren. Logistik und Zoll der Einreisehäfen für Hilfsmaterial sollen koordiniert werden, um den raschen Empfang und eine schnelle Verteilung von Medikamenten, Ausrüstung und Gütern zu gewährleisten.

Sind UN-Hilfslieferungen sanktionsfrei?

Allerdings stellen sich Fragen nach den bisher bestehenden Sanktionen der USA gegen Reedereien, die Schiffe mit humanitären Gütern und Lebensmitteln nach Venezuela lenken wollten. Kann die UNO diese Hindernisse nun überwinden? Die PAHO besteht gemäß ihren Statuten auf einer absoluten Neutralität und strikten Ausrichtung auf rein humanitäre Zwecke. Sie dürfen für keine politische Propaganda benutzt werden. Deshalb bestand sie auch darauf, dass ihre Intervention in Venezuela nur im Einverständnis mit der dortigen Regierung und den staatlichen Institutionen laufen kann, so wie es die internationalen Protokolle verlangen. 

Spanien gibt 2,5 Millionen Euro an die PAHO zurück

Der Vertrag zwischen Regierung und Opposition unter Mitwirkung der PAHO zeigte sofortige Wirkung auf Regierungen, die derzeit venezolanische Staatsgelder blockieren.

So hat Spanien in der vergangenen Woche 2,5 Millionen Euro an die PAHO überwiesen.

Damit werden Gelder, die den venezolanischen Bürgern gehören, zum Kampf gegen COVID-19 eingesetzt. Eine multilaterale Organisation wird sie gemäß den Prinzipien verwenden, die bei einer humanitären Hilfe zu respektieren sind", so ein Sprecher der spanischen Regierung.

Weitere Staaten sollten diesem Beispiel folgen. Wird die Deutsche Bank nun den Überschuss aus einer venezolanischen Schuldengarantie von rund 1,23 Millionen Euro ebenfalls an die PAHO weiterleiten?

Venezolanische Auslandsmillionen stehen bereit

Kurz nach Vertragsunterzeichnung tauchten verschiedene Medienberichte auf, nach denen bereits zehn bzw. 20 Millionen US-Dollar für die PAHO-Mission zur Verfügung stehen. Die venezolanische Opposition konnte nicht darauf verzichten, dies als "Regierungsakt" des Oppositionsführers Guaidó darzustellen. Er habe die Millionen dem Projekt "zugewiesen". Doch woher kommen sie?

Die nordamerikanischen NGO Human Rights Watch berichtet nach Befragen mehrerer Oppositionspolitiker, die Mittel stammten aus früheren Guthaben der Regierung Maduro außerhalb Venezuelas, die von der US-Regierung blockiert und teilweise an die Opposition übergeben wurden. Der Umtausch nennt sich "Fond zur Befreiung Venezuelas".

Die Ereignisse haben eine Vorgeschichte

Das UNO-Entwicklungsprogramm UNDP erklärte sich auf Antrag der venezolanischen Regierung Ende Mai dazu bereit, die Rolle zu übernehmen, die jetzt die PAHO umsetzt.

Norwegen schlug im Mai vor, blockiertes venezolanisches Staatseigentum für den Kampf gegen COVID-19 freizugeben.

Vor dem internationalen Handelsgericht Commerce Court in London laufen mehrere Prozesse, um zu klären, wem die Goldbarren und sonstige Millionen der venezolanischen Zentralbank zu übergeben seien.

Venezuela klagte vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gegen die Sanktionen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dazu gehört auch der Millionenraub europäischer und US-amerikanischer Banken.

Die radikale Umsturzfraktion innerhalb der Opposition unter Führung Guaidós driftet immer weiter ins politische Abseits. Anstatt den Nöten der Bevölkerung Rechnung zu tragen, organisierte sie inmitten der Pandemie bewaffnete Angriffe durch eine US-Söldnerfirma. Sie steht heute unter Druck, verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.

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