RT Deutsch sprach exklusiv mit Rhissa Feltou, dem Bürgermeister von Agadez:
RT Deutsch: Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für die Massenmigration von Afrika nach Europa?
Rhissa Feltou: Die Hauptgründe für die Abwanderung der Massen sind Armut, Konflikte, schlechte Regierungsführung usw. Die afrikanischen Demokratien versuchen, diese Hauptgründe anzugehen. Sie wissen aber auch, dass Migration immer eine Rolle spielen wird. Es muss daran erinnert werden, dass die Migration den Auf- und Wiederaufbau der Länder auf verschiedenen Kontinenten nach den beiden Weltkriegen erlaubt hat. Die Migration der Afrikaner nach Europa begann erst vor Kurzem, in den 1990er Jahren, aber sie ist mit der Destabilisierung von Libyen akzentuiert.
RT Deutsch: Woher kommen diese Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, und den gefährlichen Weg nach Europa auf sich nehmen?
Rhissa Feltou: Es muss daran erinnert werden, dass Libyen eines der Hauptziele der Afrikaner war. Libyen hatte schon immer afrikanische Arbeiter absorbiert, und jeder hat Arbeit gefunden. Die Migrationsbewegung am Mittelmeer war relativ ruhig. Sie entwickelte und vervielfältigte sich erst mit dem Zerfall des libyschen Staates durch die NATO und der westlichen Länder. Niger ist ein Land im Zentrum der Sahara und das Tor zum Maghreb, wo die Migration eine wichtige wirtschaftliche Komponente für Agadez als Transitzone darstellte, die einzige Stadt am Ende der Wüste. Die Zahl von Migranten durch diese Passage ist aufgrund des Zusammenbruchs des libyschen Staates auf 300.000 angeschwollen. Viele sind zwar dennoch in Libyen angekommen, aber viele sterben auch nach wie vor still in der Wüste. Erst als die Medien über die Tragödie auf dem Mittelmeer berichteten, wurde die Welt über dieses Massaker sensibilisiert und informiert. Der durch die Migrationswelle entstandene Tourismus wurde zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor der Region und ermöglichte Tausenden von Menschen ein regelmäßiges Einkommen und wirtschaftliche Aktivität.
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Die Region um Agadez erlebte weniger Arbeitslosigkeit. Die jungen Leute waren beschäftigt, und das lenkte sie von der Versuchung der islamistischen Bewegungen in den Spannungsgebieten rund um den Niger ab. So kam es, dass durch diese Aktivität die Lage besser wurde, und viele afrikanische Migranten in Libyen eintrafen, was auch den Libyern zugutekam. Nachdem aber Libyen nicht mehr länger eine stabile und ernsthafte Garantie für Europa gewesen ist, drangen auch Libyer ins Mittelmeer ein und bedrohten Europa zusammen mit dem Zustrom von syrischen Flüchtlingen sehr. Die Tragödie von Tausenden (Menschen), die ertrunken sind, gekenterte Boote und die Bilder von Kindern sorgten dafür, dass Europa beschlossen hat, den Spieß umzudrehen und Griechenland ins Visier zu nehmen, indem der Niger und insbesondere Agadez auserwählt wurden, (um dort durchzusetzen) was in Europa kaum möglich war. Um die Migration zu stoppen, wurde sie auf Kosten der Afrikaner im Keim erstickt. Im Jahr 2015 führte der Niger unter dem Druck der Europäischen Union harte Gesetze ein – das Gesetz zur Verhinderung der illegalen Migration durch Agadez und Niger – und kriminalisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit der Migration. Der Niger reduzierte die Zahl der Migranten heute auf 1.000 vorbeiziehender Menschen. Aber ist das eine Lösung? Ja, vielleicht aus humanitären Gründen für die (eigene) Moral. Aber stoppen Sie doch die Tragödie der Afrikaner in der Wüste und auf dem Mittelmeer!
RT Deutsch: Wie beurteilen Sie die Rolle der Europäischen Union und dabei insbesondere von Deutschland im Umgang mit der Migrationskrise?
Rhissa Feltou: Deutschland und Europa haben in Niger viel Werbung betrieben, um die Folgen des harten Vorgehens gegen die Migrationswege abzuschwächen, jedoch mit wenig Erfolg. Wir brauchen eine Neuausrichtung der Mittel, um unsere Bemühungen zur Bekämpfung der Migration nach Europa zu unterstützen. Die Deutschen entmutigen viele im Hintergrund. Man kann den Unterschied zwischen Ankündigungen und Erfolgen deutlich erkennen und verurteilen. Darüber hinaus ist die Vergabe von Unteraufträgen durch die NGOs ein großes und beleidigendes Hindernis, weil es zu Privatisierungen und Machtkämpfen führt. Durch diese punktuellen Eingriffe wird Augenwischerei im Hinblick auf Wartezeit und tatsächlichen Bedarf betrieben. Diese Hilfe untergräbt unsere lokalen Anstrengungen und alle unsere Hoffnung auf unser eigenes Entwicklungsschicksal. Denn es ist ein Missbrauch und kommt auch viel zu spät. Es wird von den Mittelmännern mit falschen Gebühren ausgenutzt. Zwischen 2015 und 2018 wurde nichts gemacht, um Hoffnung zu wecken. Alles wird immer noch auf Ad-hoc-Basis erledigt, und die Strukturprojekte konsolidieren nur die Fehler der schweren und dunklen europäischen Prozeduren.
Es ist notwendig, dass Europa pragmatisch agiert. Wenn keine Migration erwünscht ist, dann sollte viel Geld in die Entwicklung des Niger und insbesondere von Agadez in Zusammenarbeit mit der Lokalbevölkerung fließen. Europa macht Ankündigungen, aber auf dem Boden … Da geschieht nicht viel. Deutschland mag eine Fülle von Projekten bereithalten und Subunternehmer. Aber wenn man wirklich schaut, was realisiert worden ist, dann sehen wir sanitäre Einrichtungen wie Latrinen und andere kleine Projekte. Das ist alles. Ich habe eine deutliche Präsenz der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) und KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) gesehen, aber ich muss sagen, dass die Versprechen der Kanzlerin (Angela Merkel) bisher nicht erfüllt wurden.
Ich habe den Eindruck, dass sie (hier) teilnehmen, um uns in Armut zu halten und um so ihre Kosten zu rechtfertigen. Ihre laufenden Kosten sind enorm, und sie sind die Investitionen nicht wert. Sie wissen das alles, das ist ein offenes Geheimnis. Niger ist ein Land, das viele Gebiete der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung anspricht. Aber indem Menschen davon abgehalten werden, die traditionellen Transitzentren wie Agadez oder Dirkou zu durchqueren, treibt hier die Arbeitslosigkeit in die Höhe und ist ein Schlag für die Lokalwirtschaft. Man kämpft vielleicht gegen die Migration, aber die Armut wächst und ist überall in Agadez sichtbar. Und was ist mit diesen Schmugglern und Fahrern? 5.500 von ihnen warten immer noch auf die Reintegration (in die Wirtschaft), wie man es ihnen versprochen hat. Europa hat ein größeres Interesse daran, sich selbst gut dastehen zu lassen, während unsere Leute hier niemandem trauen.