Auch wenn viele Beobachter und Experten Anderweitiges behaupten: Das Pentagon erklärte ein ums andere Mal, dass die Rolle von US-Militärs auf dem afrikanischen Kontinent auf "beratende und assistierende" Tätigkeiten beschränkt sei. Doch seit Jahren spielen US-Spezialkräfte wie die Green Berets und Navy SEALs in Kampfhandlungen auf afrikanischem Boden eine wesentlich aktivere Rolle als bislang eingeräumt. Dazu gehört nach Erkenntnissen der investigativen Nachrichtenseite Politico auch, aber nicht nur, die Planung bestimmter Missionen, die anschließend an lokale Armeeeinheiten übergeben, aber weiterhin von den US-Militärs kontrolliert werden sollen.
Demnach würde dieses Vorgehen es den vor Ort operierenden US-Einheiten erlauben, gegen Bedrohungen vorzugehen und dabei die "wahre Natur" der Missionen zu verschleiern.
Das entsprechende Geheimprogramm, unter dem die Spezialeinheiten vor Ort handeln, lautet "Abschnitt 127e". Ein in Westafrika aktiver Green-Beret-Offizier erklärte gegenüber Politico unter Gewährleistung von Anonymität:
Es geht weniger um 'Wir helfen euch' als um 'Ihr befolgt unsere Befehle'", umschreibt der Offizier den Charakter der US-Aktivitäten in Afrika.
Der Brigadegeneral a.D. Donald Bolduc befehligte bis Juni 2017 die überwiegende Zahl der US-Spezialkräfte in Afrika. In einem Interview räumte er ein, dass die Aufgabe der Spezialeinheiten nicht nur darin bestünde, die jeweiligen Partner-Kräfte zu "beraten", ihnen zu "assistieren" und diese zu "begleiten", sondern "auch darin, sie zu lenken".
"Terrorismusbekämpfung" als Programmschwerpunkt
Im April 2014 bestätigte der US-Admiral William McRaven, seines Zeichens ehemaliger Kommandeur für Spezialoperationen von höchster Priorität, dass es sich bei dem zu dieser Zeit noch als Abschnitt 1208 firmierenden Abschnitt 127e "höchstwahrscheinlich um die wichtigsten Befugnisse in unserem Kampf gegen den Terrorismus" handele. McRavens Nachfolger General Tony Thomas erklärte vor dem US-Kongress, dass die "einmalige Natur" derselben und die Möglichkeiten, die mit den Befugnissen verbunden sind, "Resultate erzielen" würden, ohne diese zur Verfügung stehenden Möglichkeiten jedoch näher zu beschreiben.
Im Zusammenhang mit den undurchsichtigen Aktivitäten des US-Militärs in Afrika erregte zuletzt die Tötung von vier US-Soldaten internationales, aber auch nationales Aufwesen. Der Vorfall hatte sich bereits im Oktober 2017 ereignet, gelangte jedoch erst durch die Veröffentlichung eines IS-Videos an die Öffentlichkeit. Bei den vom sogenannten Islamischen Staat an der Grenze zum nigrischen Nachbarstaat Mali getöteten Amerikanern handelte es sich mutmaßlich um Angehörige der Eliteeinheit Green Berets. Die New York Times berichtete im Februar 2018:
Die vier Männer, gemeinsam mit vier nigrischen Soldaten und einem Übersetzer, wurden in einem Konflikt getötet, von dem nur einige Amerikaner überhaupt etwas wussten. Die Öffentlichkeit, aber auch die Familien [der Betroffenen] und sogar einige hochrangige amerikanische Abgeordnete hingegen nicht.
Auch der nigrischen Bevölkerung war zu einem Großteil nicht bewusst, dass US-Militärs in ihrem Land operieren.
Niemand außer den Regierungsoffiziellen glaubte daran, dass die Amerikaner für die Sicherheit hier sind", resümiert Joe Penney, der für The Intercept vor Ort recherchierte.
Ganz anders die Argumentation für die Anwesenheit von US-Einheiten vor Ort bei AFRICOM, dem Kommando mit Hauptquartier in Stuttgart:
Die US-Kräfte sind im Niger, um mit und durch die nigrischen Partner die Stabilität und Sicherheit zu fördern, während wir sie in die Lage versetzen, ihren Sicherheitsbedrohungen zu begegnen.
Wie die nunmehrigen Politico-Recherchen ergaben, unterstützten die Soldaten ein "zweites Team" von Spezialkräften und gerieten dadurch in einen Hinterhalt des IS.
Dieses zweite Team flog gerade durch das Land, um seinem nigrischen Partner zu helfen, ein Militanten-Versteck anzugreifen, als das erste Team angewiesen wurde, es zu unterstützen. Dann kehrten Erstgenannte aufgrund der Witterung zurück und das ursprüngliche Team in der Gegend blieb allein zurück", hieß es über das Ergebnis einer Untersuchung des Vorfalls.
Was ist mit "direkten Einsätzen" gemeint?
Dass es eine zweite Einheit namens Team Arlit vor Ort gab - benannt nach der nigrischen Stadt, in deren Nähe diese stationiert war -, wurde vom Pentagon zunächst abgestritten und immer noch weigert sich das US-Verteidigungsministeriums, dazu Stellung zu beziehen, ob es sich um eine Mission im Rahmen des Abschnitts 127e handelt. Pentagon-Stabschef General Kenneth McKenzie gab während einer Pressekonferenz lediglich bekannt, dass "amerikanische Berater" auf dem afrikanischen Kontinent "nicht direkt in Kampfoperationen involviert" sein.
Nein, wir sind nicht an Direkteinsätzen [direct-action missions] mit unseren afrikanischen Partnern involviert", habe McKenzie "unverblümt" geantwortet, heißt es bei Politico.
Abschnitt 127e erlaubt es, klassifizierte Programme zu finanzieren, auf deren Basis dann etwa afrikanische Regierungen eigene Einheiten an US-amerikanische Kommandos "ausleihen", um in deren Auftrag dann "als potenzielle Gefahr für amerikanische Bürger oder Botschaften identifizierte Militante zu jagen". Dies geschehe, "anstatt die afrikanischen Truppen dabei zu unterstützen, ihre eigenen Ziele zu erreichen", wie es im Falle des Einsatzes anderer US-Spezialkräfte mutmaßlich der Fall wäre.
Die Programme konzentrieren sich demzufolge sowohl auf Aufklärungsoperationen als auch auf "direkte Angriffe" durch gemeinsame Einheiten amerikanischer und afrikanischer Kommandos auf militante Ziele, so Bolduc und andere Quellen - Missionen, deren Existenz das Pentagon stets bestritt.
Somalia und Tunesien unter Standorten der Stellvertreter-Programme
Ein AFRICOM-Sprecher lehnte eine Stellungnahme dazu ab, in welchen afrikanischen Staaten Abschnitt-127e-Kräfte aktiv sind. Auf der Basis bislang durchgesickerter Erkenntnisse haben ehemalige Spezialeinsatzoffiziere jedoch acht Länder als aktuelle oder geplante Standorte der Stellvertreter-Programme ausgemacht. Dazu gehören bekannte Kampfgebiete wie Somalia und Libyen, aber auch Staaten wie Kenia, Tunesien, Kamerun, Mali und Mauretanien - und Niger.
In einem offenbaren Versuch, McKenzies Aussage zu relativieren, erklärte der Sprecher des Generalstabs, Oberst Patrick Ryder, dass McKenzie mit der Formulierung "direkte Aktion" vielmehr "direkte US-Kampfeinsätze" gemeint habe. Ryder sagte des Weiteren, dass amerikanische Truppen "in Niger operieren, um nigrische Streitkräfte in einer nicht kämpferischen Rolle zu trainieren, zu beraten und zu unterstützen". Er stritt jedoch nicht ab, dass Missionen im Land auch direkte Angriffe beinhalten.
Das ganze erscheint mehr als eine Durchführung direkter Einsätze der Abschnitt-127e-Teams. Das ist es ja genau, worum es geht", zeigte sich Bolduc überzeugt.
Die Möglichkeit, Razzien durchzuführen, macht die Umsetzung eines der geheimen Programme zu einer begehrten Aufgabe unter den nach Afrika entsandten Kommandos.
Ja, ein 127 Echo ist eine bessere Mission", sagte dazu etwa der anfangs genannte und in Afrika aktive Green-Beret-Offizier im militärischen Jargon für Programme, die unter Abschnitt 127e laufen.
Unterschiedliche Akzeptanz der US-Unterstützung in den einzelnen Ländern
Der ehemalige Befehlshaber des Großteils der US-Spezialkräfte in Afrika, General Bolduc, ergänzt:
Ich habe Jungs in Kenia, Tschad, Kamerun, Niger und Tunesien, die die gleichen Sachen machen wie die Jungs in Somalia und sich dabei der gleichen Gefahr aussetzen - und das nicht nur unter 127 Echo. Wir haben Jungs, die in allen möglichen Missionen, die wir durchführen, verwundet wurden.
Alice Friend, ehemalige Verantwortliche der Obama-Regierung für Anti-Terrorismus-Aktivitäten in Nordwestafrika, fasste die fließenden Auftrags-Grenzen wie folgt zusammen:
Sie haben diese grauen Linien zwischen dem, was afrikanische Operationen mit US-Unterstützung sind, und dem, was US-Operationen mit afrikanischer Unterstützung sind - und mit welchem Risikoprofil wir uns wohl fühlen. An welchem Punkt ist es eigentlich eine US-Operation? Es ist zweideutig.
Einige afrikanische Staaten begrüßen die Anwesenheit der US-Kommandos auf ihrem Boden, anderen sind sie unangenehm und wieder andere halten sie sogar für kontraproduktiv.
Die Partnerstaaten der Programme wollen vermeiden, dass ihre Bürger denken, dass die USA sie in ihren eigenen Staaten als Marionetten benutzen", erläutert Bolduc.
Eines dieser Länder sei demnach Mauretanien, das "einem langläufigen Programm den Stecker zog".
Das Gastland muss verstehen, was es unterzeichnet hat und Mauretanien hat sich damit nie wohlgefühlt. Die Kontrolle über eine ihrer Einheiten abzugeben, passt einfach nicht dazu, wie die Mauretanier sich selbst sehen", ergänzt die Offizierin.
Entsprechend könne es vorkommen, dass die "Partnerstaaten ihre nationalen Sicherheitsprioritäten anders definieren als wir es tun", ergänzt Friend.
Doch der afrikanische Kontinent ist nicht die einzige Region, in der Programme des Abschnitts 127e aufgelegt wurden. Weltweit soll es demnach 21 entsprechende Programme geben, Tendenz steigend. Zumindest nach Ansicht von Owen West, seines Zeichens zuständig für Spezialoperationen und Konflikte geringer Intensität im US-Verteidigungsministerium, wird "die Notwendigkeit, diese Programme fortsetzen, eher sogar anwachsen".
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