Niger: USA nutzen Frankreichs Schwäche gnadenlos aus

Mit dem Hintergehen Frankreichs offenbaren die USA in Niger erneut ihre Machtpolitik. Während Frankreich den Abzug ankündigt, nutzen die USA die Chance, ihre Präsenz in der Sahelzone zu verstärken. Ähnlich wie beim AUKUS-Abkommen vor zwei Jahren setzen sie ihre geopolitischen Interessen durch.

Von Andrew Korybko

Vor etwas weniger als zwei Monaten, Anfang August, "erklärte Frankreich, dass es sich nicht von der nigrischen Junta aus dem Land vertreiben lassen wird", um nun Ende September zu erklären, dass seine 1 500 Soldaten bis Ende des Jahres abziehen werden. Paris hatte bisher an den Legitimitätsansprüchen des gestürzten Führers Mohamed Bazoum festgehalten und sich geweigert, das Land zu verlassen, wenn er nicht darum bittet. Der ehemalige Kolonialherr seines Landes erklärte außerdem, dass er eine Invasion der ECOWAS unterstützen würde, um ihn wieder an die Macht zu bringen, falls die ECOWAS beschließen sollte, eine solche zu starten.

Diese verblüffende Kehrtwende stellt daher eine demütigende strategische Niederlage für Frankreich dar und beweist das völlige Scheitern seiner neokolonialen Politik in Afrika. Hätte sich Frankreich nach dem patriotischen Militärputsch im Sommer dieses Jahres und vor der vorhersehbaren Forderung der Junta unter welchem Vorwand auch immer zu seinen Bedingungen zurückgezogen, hätte es immer noch versuchen können, die Wahrnehmung teilweise zu seinen Gunsten zu verändern. Stattdessen wurde die Entscheidung getroffen, in Niger zu bleiben, wahrscheinlich weil Frankreich dachte, dass die ECOWAS einmarschieren würde.

Denn wenn die politischen Entscheidungsträger in Paris nicht wirklich mit weiteren politischen Veränderungen in diesem Land rechneten und nicht bereit waren, Bazoum aus eigener Kraft an die Macht zu bringen, dann machte es keinen Sinn, noch länger in diesem Land zu bleiben. Damit signalisierten sie, dass es einen Plan gab, wonach die Junta entweder von dieser Forderung zurücktreten oder ersetzt werden würde, vielleicht sogar nur durch eine pro-französische Militärfraktion in einem weiteren Putsch. Nichts davon kam zustande, auch nicht die Invasion der ECOWAS, was darauf schließen lässt, dass etwas schiefgelaufen ist.

An diesem Punkt sollte sich der Leser daran erinnern, was der oberste US-Luftwaffenkommandeur für Europa und Afrika Mitte September die Wiederaufnahme der Geheimdienst- und Überwachungsmissionen seines Landes in Niger bekannt gab. Diesem Beamten zufolge war dies das Ergebnis von Verhandlungen mit der Junta, die im Anschluss an die Reise der stellvertretenden Außenministerin Victoria Nuland nach Niamey Anfang August stattfanden, kurz nachdem die militärische Übergangsregierung den Abzug der französischen Streitkräfte gefordert hatte.

In dieser Analyse wird erläutert, wie diese Entwicklung Frankreich strategisch in die Enge getrieben hat, da sie zeigte, dass die Vereinigten Staaten die zahlreichen regionalen Rückschläge ihres nominellen NATO-Partners ausnutzen. Durch die flexible Anpassung an die multipolaren Trends in der Sahelzone konnte Washington die traditionelle Sicherheitsrolle von Paris in Niger ersetzen. Dies wiederum hatte zur Folge, dass zwei US-Stützpunkte in die Sahel-Allianz integriert wurden, die wenige Tage später zwischen diesem Land, Burkina Faso und Mali gegründet wurde.

Die spekulative Gegenleistung scheint darin bestanden zu haben, dass die USA die von Frankreich geplante ECOWAS-Invasion vereiteln würden, wenn die Junta ihnen diese Militäreinrichtungen überließe. Um es ganz offen zu sagen: Die USA haben Frankreich in Westafrika nach einem geheimen Abkommen in Niger hintergangen, fast auf den Tag genau zwei Jahre, nachdem sie dasselbe Land im asiatisch-pazifischen Raum nach einem geheimen Abkommen mit Australien und dem Vereinigten Königreich zur Gründung von AUKUS hintergangen haben. Nur ein geheimes amerikanisch-nigerianisches Abkommen kann erklären, warum Frankreich bis jetzt mit dem Rückzug gewartet hat.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Frankreich noch gehofft, dass die USA der ECOWAS den Befehl zum Einmarsch in Niger erteilen und so ihre beiden Stützpunkte dort retten würden, wovon die französischen Entscheidungsträger ausgingen, da sie glaubten, die USA hätten Angst vor dem russischen Einfluss und den nach dem Putsch zunehmenden Terroranschlägen in Niger. Was sie nicht voraussahen, war, dass die USA hinter ihrem Rücken eine Vereinbarung treffen würden, um die traditionelle Sicherheitsrolle ihres Landes als Teil ihrer flexiblen Anpassung an die multipolaren Trends in der Region zu ersetzen.

Aus Sicht der USA war dies angesichts der Umstände, in denen sich ihre politischen Entscheidungsträger nach dem Putsch befanden, das beste Szenario. Eine Invasion der ECOWAS hätte das Risiko mit sich gebracht, einen größeren Krieg auszulösen, der mehr Möglichkeiten für eine Ausweitung des russischen Einflusses geschaffen und gleichzeitig Europa destabilisiert hätte, wenn er zu einer weiteren Flüchtlingskrise wie der berüchtigten von 2015 geführt hätte. Sie erkannten daher, dass es besser war, Frankreich in Niger zu ersetzen und auf diese Weise die multipolaren Trends in Schach zu halten.

Praktisch gesehen können die USA proaktiv einen Teil der Lücke füllen, die der scheinbar unvermeidliche Rückzug Frankreichs aus Afrika hinterlässt, anstatt alles freiwillig an die chinesisch-russische Entente abzutreten. Außerdem können sie dafür sorgen, dass die Ressourcen, von denen Paris abhängt, über amerikanische Einflussnetzwerke anstatt über ihre eigenen laufen. Die einzigen Kompromisse, die die USA eingehen müssen, bestehen darin, eine gewisse Ausweitung des chinesisch-russischen Einflusses zu akzeptieren (da sie dies nicht gänzlich verhindern können) und die vermeintlich unappetitliche Optik einer Partnerschaft mit einer Junta in Kauf zu nehmen.

Was den zweitgenannten Aspekt betrifft, so sind bereits Maßnahmen zur Wahrnehmungssteuerung im Gange, um den Schaden für die "Soft Power" im eigenen Land abzumildern. Andreas Kluths jüngster Meinungsartikel für Bloomberg erklärte dramatisch: "Wenn die USA Niger verlassen, gewinnen die Terroristen und Russen" und argumentierte, dass es besser sei, trotz der Junta dort zu bleiben, als sich aus Protest zur Verteidigung der "Demokratie" zurückzuziehen. Er erklärte seinem westlichen Zielpublikum, dass dies angesichts der angeblichen Alternativen das sogenannte geringere Übel sei.

Das Neue an dieser Erzählung ist, wie offen Kluth über die Interessen der USA in Niger spricht, von denen er offen sagt, dass sie solche Kompromisse wie die oben genannten erfordern. Obwohl er auch Angst vor Russland und Terroristen schürt, wie es seine Kollegen den ganzen Sommer über getan haben, besteht seine vorgeschlagene Lösung nicht darin, eine möglicherweise sehr kostspielige ECOWAS-Invasion zu unterstützen, sondern pragmatische Abmachungen mit der Junta zu treffen. Kluths Artikel ist sowohl erfrischend als auch besorgniserregend, weil er zeigt, wie flexibel sich die USA an multipolare Trends anpassen.

Einerseits kommt es nicht oft vor, dass jemand in der westlichen Öffentlichkeit so offen über die Interessen der USA im Globalen Süden spricht, weshalb er erfrischend ist, da die meisten Wahrnehmungsmanager es vorziehen, dieses Thema zu verschleiern und darüber zu lügen. Allerdings ist es auch besorgniserregend, wie objektiv wirksam dieser Ansatz bei der Durchsetzung der US-Interessen sein kann, was für die chinesisch-russische Entente dort eine viel größere Herausforderung darstellt als die, mit der sie sich bisher begnügen musste.  

Um noch einmal auf die erstaunliche Kehrtwende Frankreichs zurückzukommen: Seine Entscheidung, sich endgültig aus Niger zurückzuziehen, obwohl es noch vor zwei Monaten erklärt hatte, trotz der Junta dort zu bleiben, war wohl das Ergebnis eines Deals, den die USA mit der militärischen Übergangsregierung geschlossen hatten und der Frankreich praktisch zum Rückzug zwang. Wenn Frankreich dies geahnt hätte, hätte es bereits im Sommer aus eigenem Antrieb abziehen können, weshalb diese Entwicklung als zweiter amerikanischer Verrat an Frankreich nach AUKUS angesehen werden sollte.

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Aus dem Englischen

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.