Raubkunst aus Afrika wird möglicherweise von Großbritannien und Deutschland zurückgegeben

Europas koloniale Vergangenheit holt es ein: Seit Anfang dieses Jahres hat sich die Restitution afrikanischer Kulturgüter, die Ende des 19. Jahrhunderts von den britischen Militärs gestohlen und vom afrikanischen Kontinent verschleppt worden waren, intensiviert.

von Dora Werner

Seit Jahren fordert die nigerianische Regierung die Rückgabe tausender Kunstwerke, die im Jahr 1897 im Königreich Benin von den Briten gestohlen und nach Europa gebracht worden waren. Nun werden diese Forderungen offenbar wahrgenommen – und in Mitteleuropa beginnt ein Prozess der Aufarbeitung der beschämendsten Kapitel der kolonialen Geschichte.

Wie The Art Newspaper Anfang August berichtete, haben sich die Universitäten Oxford und Cambridge bereit erklärt, "mehr als 200 Bronzegegenstände aus Benin zurückzugeben und damit den Weg für die umfangreichste Rückgabe von Benin-Artefakten im Vereinigten Königreich geebnet". Die Zeitung erklärt, dass die beiden Universitäten Anfang des Jahres von der nigerianischen Nationalen Kommission für Museen und Denkmäler (NCMM) "förmliche Anträge auf Rückgabe von 97 Objekten aus den Sammlungen des Pitt Rivers und des Ashmolean Museums in Oxford sowie von 116 Gegenständen aus dem Museum für Archäologie und Anthropologie (MAA) der Universität Cambridge" erhalten haben.

Nun muss die britische Wohltätigkeitskommission (Charity Commission) die Anträge prüfen und entscheiden, ob das rechtliche Eigentum an den Gegenständen auf Nigeria übertragen werden kann – dies sollte im Laufe des Jahres erfolgen, so die Zeitung. Die Genehmigung der Kommission sei erforderlich, da die Universitätsmuseen den Status einer gemeinnützigen Einrichtung haben. Möglicherweise werden die Exponate aus den Universitäten also doch in ihre historische Heimat zurückkehren.

Nicholas Thomas, Direktor des Britischen Museums für Archäologie und Anthropologie, erklärte gegenüber der Zeitung: "Im gesamten internationalen Museumssektor wird zunehmend anerkannt, dass unrechtmäßig erworbene Artefakte an ihre Herkunftsländer zurückgegeben werden sollten."

Die geraubten afrikanischen Schätze des Britischen Museums – etwa 900 Objekte – werden hingegen wahrscheinlich nie nach Nigeria zurückfinden. Laut The Art Newspaper verbietet ein Gesetz aus dem Jahr 1963 dem Museum, Werke aus seiner Sammlung zu entfernen.

Die Einrichtung führe jedoch Gespräche mit der nigerianischen Regierung, um dem Museum für westafrikanische Kunst in Benin City Objekte aus der britischen Sammlung zu leihen.

Großbritannien ist nicht das einzige europäische Land, in dem die Schätze Nigerias gelandet sind. Im Februar schrieb die Wiener Zeitung:

"In europäischen Museen sind bis heute zehntausende afrikanische Kunstwerke ausgestellt, die einst während der Kolonialzeit geraubt wurden. Somit befindet sich ein Großteil des afrikanischen Kulturerbes heute außerhalb Afrikas."

Einige der Benin-Bronzen fanden ihren Weg in die Schweiz, insbesondere in die Museen in Basel. Nun haben die Schweizer Behörden eine Untersuchung über frühere Museumskäufe eingeleitet, um herauszufinden, wer die Genehmigung zum Erwerb der afrikanischen Schätze erteilt hatte. Ob die Schweiz die Kunstobjekte restituieren wird, bleibt abzuwarten.

Die Smithsonian Institution in Washington hat sich dagegen bereit erklärt, die meisten Benin-Bronzen aus ihrer Sammlung im Rahmen eines großen Restitutionsabkommens an Nigeria zurückzugeben.

Die sogenannten Benin-Bronzen gelangten nach Europa, nachdem das Königreich Benin brutal überfallen und geplündert worden war. Ende des 19. Jahrhunderts hatte Großbritannien beschlossen, die vollständige und alleinige Kontrolle über den Handel und die Ressourcen Benins zu übernehmen – und zu diesem Zweck den beninischen König zu stürzen. Im Jahr 1897 brach der Brite James Robert Phillips mit einigen Soldaten zu dieser Mission in das Königreich auf.

Der Zeitpunkt seiner Ankunft war bewusst gewählt – er fiel mit einem heiligen Fest zusammen, bei dem es Außenstehenden verboten war, die Stadt zu betreten. Regierungsbeamte aus Benin City hatten zuvor gewarnt, dass jeder Weiße, der in dieser Zeit versucht, die Stadt zu betreten, mit dem Tod bestraft würde. Phillips ignorierte die Warnung. Er und seine Soldaten wurden daher getötet – und ihr Tod wurde von den Briten als Anlass für eine "Strafexpedition nach Benin" genommen.

Die britische Armee marschierte in das Land ein und richtete nicht nur am königlichen Hof, sondern auch in der Bevölkerung ein brutales Massaker an – die Zahl der Opfer ging in die Tausende. Die Hauptstadt von Benin wurde dem Erdboden gleichgemacht, der Königspalast verwüstet und alles Wertvolle, das die Könige von Benin besaßen, geraubt. Einschließlich Benin-Bronzen.

Im Jahr 2018 widmete die Frankfurter Allgemeine Zeitung der Geschichte der Strafexpedition nach Benin einen umfassenden Beitrag, in dem auch die Tagebucheinträge der Briten zitiert werden, die an der Plünderung des Königreichs Benin beteiligt waren. Die Zeitung merkte an:

"Im British Museum wird die Geschichte umgedeutet. Als britische Truppen im Jahr 1897 ins Königreich Benin kamen, so erklärt der Audio-Guide vor der hohen Wand mit den Bronzeplatten, hätten sie rund 900 dieser Reliefs 'halbverschüttet in einem Lagerhaus entdeckt'. Eine verwegene Formulierung. Denn die Elitesoldaten der Royal Navy retteten damals nicht mal eben ein paar Kunstschätze vor dem Vergessen. Die Wahrheit ist: Sie plünderten das Lagerhaus und brannten den gesamten königlichen Palast nieder.

Der Sieg über das Königreich Benin wurde 1897 begeistert gefeiert. Königin Victoria gratulierte der Royal Navy zum gelungenen Einsatz. Londoner Zeitungen brachten Sonderausgaben darüber, wie die britischen Truppen einem grausamen afrikanischen Königreich ein Ende bereitet hatten. Und es begann eine Odyssee von 3.500 bis 4.000 geraubten Objekten. Einige der schönsten Stücke gingen an die Queen, die meisten wurden nach Rückkehr der Truppen zur Finanzierung des Kriegs an Museen und Sammlungen in aller Welt verkauft. Viel von der Kriegsbeute behielten die Elitesoldaten selbst."

Die Benin-Plastiken werden gewöhnlich als Bronze bezeichnet, obwohl sie in Wirklichkeit aus Messing (einer Kupfer- und Zinklegierung) und nicht aus Bronze bestehen. Zudem gibt es Skulpturen aus fast reinem Kupfer. Der Messingguss wurde im Königreich über Jahrhunderte hinweg perfektioniert, und die Gießer waren die privilegiertesten Handwerker Benins. Sie schufen Kunstwerke für den kaiserlichen Palast und religiöse Zeremonien. Messingköpfe beninischer Herrscher, Reliefs, die die Geschichte des Landes illustrieren, Tier- und Vogeldarstellungen – die Bandbreite des künstlerischen Schaffens des Königreichs war gewaltig.

Die russische Fachzeitschrift Nauka i Schisn (Wissenschaft und Leben) erklärte im Jahr 2005:

"Bis dahin wusste man in Europa so gut wie nichts über die Kunst von Benin. Trotz eines regen Handels seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wurde kein einziges Kunstwerk von hier aus exportiert. Die einzige Ausnahme bildeten die so genannten afro-portugiesischen Plastiken - Becher, Salzstreuer, Löffel und so weiter -, die im Auftrag portugiesischer Händler aus Elfenbein hergestellt wurden."

Als die afrikanische Kunst auf europäischen Auktionen und in europäischen Sammlungen nach der Plünderung Benins auftauchte, hatte sie eine überwältigende Anziehungskraft. Später nahm sie großen Einfluss auf die europäische Avantgardekunst – Picasso, Matisse, Gauguin und Modigliani ließen sich von afrikanischen Kunstwerken inspirieren.

Zahlreiche Benin-Bronzen aus dem britischen Besitz wurden von deutschen Museen angekauft. Wie Spiegel am 29. Juni berichtet hat, sind "etwa 1.100 der kunstvollen Bronzen aus dem Palast des damaligen Königreichs Benin, das heute zu Nigeria gehört", mittlerweile in "rund 20 deutschen Museen zu finden".

Im Juni dieses Jahres wurde bekannt, dass sich Deutschland und Nigeria auf die Rückgabe von Benin-Bronzen geeinigt haben. Außen- und Kulturministerium unterzeichneten eine Absichtserklärung mit der nigerianischen Seite, welche die Übergabe der Objekte an Nigeria nun erleichtern soll. Wie vom Spiegel berichtet, werden fünf Museen an der Eigentumsübertragung beteiligt sein: Das Linden-Museum in Stuttgart, das Museum am Rothenbaum (Hamburg), das Rautenstrauch-Joest-Museum (Köln), das Völkerkundemuseum Dresden/Leipzig sowie das Ethnologische Museum Berlin.

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