Warum Afrika Russland mehr vertraut als den USA

Der Westen gibt Russland und der russischen Militäroperation in der Ukraine die Schuld an der drohenden Hungersnot in Afrika. Die afrikanischen Länder haben es jedoch keineswegs eilig, sich solchen Anschuldigungen anzuschließen. Was denken die Afrikaner über das Geschehen und wie stehen sie zu Russland?

Eine Analyse von Geworg Mirsajan

"Die ganze Welt hat die russische Aggression in der Ukraine verurteilt". Diese Kernthese der westlichen Propaganda ist jedoch höchstens fragwürdig. 

Experten, die sich mit Asien beschäftigen, stellen fest, dass Japan das einzige Land in der Region war, das die Vereinigten Staaten bedingungslos unterstützte. Die lateinamerikanischen Länder haben sich auch größtenteils entweder von dem Konflikt distanziert oder russische Interessen unterstützt.

Die Position Afrikas wurde weniger untersucht, obwohl man das wohl hätte tun müssen. Schließlich hielt sich auch Afrika von dem Sanktionsrausch fern, den die westlichen Staaten gegen Russland organisierten. Kein Land Afrikas ging den Weg Japans, und ein großer Teil der afrikanischen Staaten weigerte sich sogar, Russland für die Sonderoperation in der Ukraine zu verurteilen.

"Siebzehn afrikanische Länder haben sich der Stimme enthalten und acht weitere haben sich gegen eine Teilnahme entschieden. Ein Land stimmte sogar gegen die Resolution – Eritrea. "Eine totalitäre Diktatur", empörten sich amerikanische Experten für den schwarzen Kontinent und Menschenrechtsaktivisten.

Nachdem es den USA nicht gelungen ist, das reiche Asien, den ambitionierten Nahen Osten und das linksgerichtete Lateinamerika für sich zu gewinnen, versuchen sie nun aktiv, die antirussische Front um die Länder Afrikas zu erweitern – Politik, die das Leben der einfachen Afrikaner aufs Spiel setzt.

Afrika wird als Geisel gehalten

Es ist eine Tatsache, dass Afrika am Rande einer Nahrungsmittelkrise steht. Nach Angaben von Mike Dunford, dem Leiter des UN-Welternährungsprogramms, leiden in Afrika mehr als 80 Millionen Menschen unter Nahrungsmittelknappheit und Hunger, während es vor einem Jahr noch 50 Millionen waren. Im Tschad leidet inzwischen ein Drittel der Bevölkerung an Hunger und die lokalen Behörden mussten den Notstand ausrufen. 

All dies ist auf Nahrungsmittelknappheit und steigende Preise zurückzuführen, für die der Westen Russland verantwortlich macht, das nach Ansicht der EU und der USA einen Krieg in der Ukraine begonnen hat. Mehr als 40 Prozent des in Afrika verbrauchten Getreides kommt aus der Ukraine und Russland – und jetzt, so heißt es, wird wegen dieses Krieges kein Getreide mehr exportiert, weil Moskau daran schuld ist.

US-Außenminister Antony Blinken sagte, Russland "erpresse" die Welt durch den "Export von Hunger und Elend". "Wenn die ukrainischen Häfen nicht geöffnet werden, wird dies zu einer Hungersnot führen", versicherte der leitende UN-Beamte Amin Awad. "Das ist Putins Preiserhöhung. Putins Krieg hat die Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben, denn die Ukraine und Russland sind die weltweit größten Lieferanten von Weizen und Mais, die für eine Reihe von Ländern auf der ganzen Welt ein Grundnahrungsmittel darstellen", sagt Joseph Biden.

Diese Aussagen sind manipulativ, wobei die Manipulation nicht nur darin besteht, dass der US-Präsident lügt, wenn er Putin die Schuld am aktuellen Geschehen gibt. Biden spricht "Ukraine und Russland" – genau in dieser Reihenfolge, und es ist die Umkehrung der Reihenfolge, die zählt. Tatsache ist, dass das Volumen der Getreideexporte Russlands die ukrainischen Exporte übersteigt: Auf Russland entfallen 20 Prozent der weltweiten Weizenexporte, auf die Ukraine 11 Prozent.

Mit dieser manipulativen Umkehrung versucht man zu zeigen, dass Russlands Militäreinsatz in der Ukraine das Nahrungsmittelproblem verursacht hat. Und nicht der Sanktionskrieg des Westens gegen Russland, der die russischen Exporte beeinträchtigt.

"Getreideimporte aus Russland unterliegen zwar nicht den westlichen Sanktionen, aber die Importeure haben Schwierigkeiten, russisches Getreide zu kaufen, weil die Finanztransaktionen mit russischen Unternehmen komplizierter geworden sind. Außerdem boykottieren viele Schifffahrtsunternehmen Russland (um nicht vom US-Finanzministerium sanktioniert zu werden – Anm. der Red.)", so ein Bericht des Schweizer Nachrichtendienstes. 

Zum Leidwesen der Vereinigten Staaten glauben die Afrikaner aber nicht, dass Russland die Schuld daran trägt. Und sie nehmen eine äußerst ausgewogene Position ein. Insbesondere weigern sie sich, Moskau die alleinige Schuld an der auf dem afrikanischen Kontinent ausbrechenden Hungersnot zu geben. Zudem deuten sie an, dass die Hauptschuld gerade bei den westlichen Sanktionen liegt.

"Es gibt zwei Hauptprobleme – die Krise und die Sanktionen. Wir müssen zusammenarbeiten, um genau diese beiden Probleme zu lösen, damit Lebensmittel und Düngemittel von den Sanktionen ausgenommen werden können",

sagte der Chef der Afrikanischen Union, Macky Sall.

"Nach den Statistiken, die uns von internationalen Organisationen zur Verfügung gestellt wurden, fordern Probleme der Ernährungssicherheit weitaus mehr Opfer als Terroranschläge", sagte Abdoulaye Diop, der Außenminister Malis. "Ich werde keiner Partei die Schuld geben, aber ich kann definitiv sagen, dass Sanktionen die Situation nur verkomplizieren."

Geld, Schutz und Respekt

Die konstruktive Haltung Afrikas gegenüber der russischen Spezialoperation hat offenbar mehrere Gründe, die durchaus rational sind.

Zunächst einmal ziehen es die Länder der Dritten Welt traditionell vor, sich nicht in Konflikte einzumischen, die weit von ihnen entfernt sind. Darüber hinaus ist Afrika auf eine militärische, wirtschaftliche und politische Partnerschaft mit Russland angewiesen. Deshalb werden wahrscheinlich die meisten afrikanischen Staats- und Regierungschefs am zweiten russisch-afrikanischen Wirtschaftsforum teilnehmen, das in diesem Jahr stattfinden wird. Natürlich werden dort auch Wirtschaftsprojekte besprochen wie der Aufbau verschiedener Unternehmen in Afrika, die Rohstoffgewinnung sowie die Neuausrichtung der russischen Exporte.

"Je näher das europäische Embargo für den Kauf russischer Ölprodukte rückt, desto mehr wird Moskau auf die Märkte in Afrika und im Nahen Osten angewiesen sein", so Reuters. Russland liefert bereits Erdölprodukte nach Nigeria, Marokko, Sudan, Elfenbeinküste und Togo.

Auch die militärisch-politische Zusammenarbeit wird wahrscheinlich zur Sprache kommen. Das russische Militärunternehmen, die Gruppe Wagner, hat bereits der Zentralafrikanischen Republik und Mali geholfen, durch eine Ausbildung der Sicherheitskräfte den Terrorismus in diesen Ländern zu bekämpfen. Das Unternehmen übernimmt auch Aufgaben im Zuge der russischen Militäroperation in der Ukraine. Offensichtlich wird die Nachfrage nach ihren Dienstleistungen drastisch steigern.

Ja, Russland hat weltweit weniger Einfluss als die USA und Europa. Es hat weniger Geld als China. Doch Russland ist im militärischen, politischen und wirtschaftlichen Sinne stark genug und hat gegenüber seinen Wettbewerbern sogar eine Reihe von Vorteilen.

Anders als beispielsweise die Vereinigten Staaten und Frankreich mischt sich Moskau nicht in die inneren Angelegenheiten des zu verteidigenden Landes ein. Moskau lehrt nicht zu leben und zu regieren, sondern respektiert die nationalen, religiösen und kulturellen Besonderheiten seiner Partner. Darüber hinaus respektiert Moskau auch die wirtschaftlichen Eigenschaften seiner Partner. Jeder kann beispielsweise die Folgen der zunehmenden wirtschaftlichen Abhängigkeit der zentralasiatischen Länder von der Volksrepublik China erkennen, wo die chinesischen Behörden ihre eigenen Arbeitskräfte ins Land holen und die lokalen Behörden gezwungen sind, ihre Schulden bei Peking in Form von Sachleistungen (Land, Minen, Bergwerke) zu begleichen.

Schließlich hat Russland – anders als der Westen mit seiner kolonialen Idee der weißen Vorherrschaft oder China mit seiner Ideologie des Chinazentrismus – die richtige Sprache gefunden, um mit höchsten Vertretern der afrikanischen Staaten zu kommunizieren. "Zum ersten Mal trafen wir auf weiße Menschen, die uns als Gleichberechtigte behandelten", ist eine These, der viele in Afrika zustimmen würden.

Trotz angeblicher Reue der Black Lives Matters-Bewegung behandelt der Westen die Afrikaner nicht als gleichberechtigt, wie das Verhalten der USA am Vorabend der berüchtigten Resolution der Generalversammlung zur Verurteilung der russischen Sonderoperation einmal mehr bewies. "Uns wurde ein Ultimatum gestellt, Russland zu verurteilen", sagte die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor.

"Angesichts dieses arroganten Verhaltens haben wir die einzig mögliche Entscheidung getroffen und uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten."

Um es mit den Worten von Don Corleone in der berühmten Gangster-Saga "Der Pate" zu sagen: Wenn die USA Afrika um etwas bitten wollen, sollten sie dies zumindest mit Respekt tun.

Übersetzt aus dem Russischen.

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