Saif al-Islam al-Gaddafi, ein Sohn des ehemaligen libyschen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi, ließ sich am Sonntag als Präsidentschaftskandidat für die anstehendenden Wahlen in Libyen registrieren. Saif al-Islam reichte seine Kandidatur in der Stadt Sabha, 650 Kilometer südlich der Hauptstadt Tripolis, ein, wie die Hohe Nationale Wahlkommission in einer Erklärung mitteilte.
In den sozialen Medien zirkulieren die Bilder und Videos, in denen Gaddafi mit grauem Bart und Brille sowie einem traditionellen braunen Gewand und Turban im Registrierungszentrum in Sabha zu sehen ist. Bei den anstehenden Wahlen könnte Saif al-Islam ein Spitzenreiter sein, da er wahrscheinlich für eine nostalgische Ära vor der NATO-Militärintervention in Libyen werben würde, meldet Al Jazeera.
Bis zu einem Interview jüngst mit der New York Times (NYT) hatte es seit Juni 2014 kein öffentliches Lebenszeichen des Gaddafi-Sohnes gegeben. Gaddafi habe in letzter Zeit seine Abwesenheit vom öffentlichen Leben genutzt, um die politischen Strömungen im Nahen Osten zu beobachten und die politische Kraft seines Vaters neu zu organisieren, berichtet die NYT. Am 24. Dezember sollen in Libyen die Präsidentschaftswahlen stattfinden. Die begrenzten Umfragedaten in Libyen deuteten im Juli darauf hin, dass eine große Anzahl von Libyern – in einer Region bis zu 57 Prozent – ihr Vertrauen in Gaddafi junior ausdrücken wollten. Vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) wird Saif al-Islam allerdings wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gesucht. Ein Gericht in Tripolis verurteilte ihn zudem im Jahr 2015 in Abwesenheit zum Tode.
Bei einem öffentlichen Auftritt in der Hauptstadt Tripolis würden ihm wahrscheinlich Verhaftung oder andere Gefahren drohen, berichtet Al Jazeera. Die Kandidatur Gaddafis erfolgte, nachdem eine internationale Libyen-Konferenz in Paris am Freitag die Abhaltung "freier, fairer, integrativer und glaubwürdiger Präsidentschafts- und Parlamentswahlen" unterstützt hatte. Als Ko-Vorsitzende der Konferenz kamen geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi nach Paris. Auch die US-amerikanische Vizepräsidentin Kamala Harris war anwesend, was als wiedererwachendes US-Interesse an der Libyen-Frage gewertet wurde. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der in Libyen seit Ausbruch des Bürgerkriegs großen Einfluss ausübt, blieb der Konferenz fern. Als Grund nannte der türkische Regierungschef die Einladung des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis zu der Konferenz. Für Russland nahm Außenminister Sergei Lawrow an der Konferenz in Paris teil.
Die Kandidaten für die geplante Präsidentschaftswahl in Libyen können sich seit dem 8. November innerhalb von zwei Wochen registrieren lassen. Die erste Runde der Präsidentschaftswahl ist für den 24. Dezember 2021 geplant. Ursprünglich sollte auch das Parlament an demselben Tag gewählt werden. Dies dürfte jedoch nun erst Mitte Februar 2022 stattfinden.
Diese Wahlen werden als Schlüsselmoment in einem von der UNO geförderten Friedensprozess zur Beendigung des Konflikts in Libyen angedacht, der seit der von der NATO aufgeputschten Rebellion gegen Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 verschiedene regionale Mächte angezogen und dauerhaft die Stabilität im Mittelmeerraum untergraben hatte.
Andere mögliche Präsidentschaftskandidaten sind der faktisch im Nordosten Libyens herrschende General Chalifa Haftar, der Vorsitzende des Abgeordnetenrates Aguila Saleh und ein ehemaliger Innenminister namens Fathi Baschagha.
Im Falle eines unklaren Wahlergebnisses wird vor allem befürchtet, dass das Land erneut im Chaos und wieder aufflammenden politischen Konflikten versinkt. Unter diesen Umständen sei das Risiko groß, dass die Verlierer ihre Niederlage nicht akzeptieren. Das könnte zu einer erneuten Spaltung des Landes beitragen und zu einem weiteren blutigen Konflikt führen.
Die derzeitige libysche Übergangsregierung ist seit März im Amt. Sie löste offiziell die Regierung mit Sitz in Tripolis sowie die Gegenregierung mit Sitz im Osten des Landes ab. Abgesandte der verschiedenen Lager in Libyen bestimmten seinerzeit unter UN-Aufsicht in der Schweiz einen neuen Ministerpräsidenten und einen dreiköpfigen Präsidialrat. Mit diesen vier Posten sollen die seit Jahren verfeindeten Lager und ihre zwei rivalisierenden Regierungen im Osten und Westen geeint werden.
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