von Kani Tuyala
In den vergangenen Wochen verschärfte sich der bewaffnete Konflikt zwischen den "Rebellen" der sogenannten Befreiungsfront von Tigray (TPLF) und Streitkräften (ENDF) der Zentralregierung in Addis Abeba. Die US-Regierung wird dabei nicht müde, sich mit scharfen Worten besorgt über gravierende Menschenrechtsverletzungen und eine sich zuspitzende humanitäre Katastrophe in der Region Tigray zu zeigen. Gleichzeitig scheint es nach Lesart Washingtons für die gesamte Situation nur eine tatsächlich verantwortliche Partei zu geben: die Regierung unter Ministerpräsident Abiy Ahmed.
Offiziell werden zwar sowohl die TPLF als auch die Regierung zu umgehenden "Friedensgesprächen" aufgefordert, um die Kampfhandlungen zu beenden, von schon längst auf den Weg gebrachten Sanktionen ist jedoch nur die demokratisch gewählte Regierung unter Abiy betroffen. Dies kritisiert nicht nur Addis Abeba als durchsichtige Doppelzüngigkeit und einseitige Parteinahme, sondern auch internationale, aber kaum gehörte Fachleute äußern sich skeptisch. So etwa Prof. Ann Fitz-Gerald, Direktorin der kanadischen Balsillie School of International Affairs und Expertin für internationale Sicherheitsfragen.
Wie Fitz-Gerald anmerkt, sei die TPLF bislang vom US-Bannstrahl verschont geblieben. Es sei auffällig, dass Washington in Sachen Sanktionen zwar gegen die "legitime, demokratisch gewählte äthiopische Regierung" vorgehe, aber keine Strafmaßnahmen etwa "in Form von Reisebeschränkungen, Einfrierung von Bankkonten, von Vermögenswerten gegen die Führung der TPLF" ausgesprochen worden seien.
Und längst wird die äthiopische Regierung schwerster Vergehen gegen die Menschlichkeit etwa in Form einer vermeintlichen "Hungerblockade" gegen die Bevölkerung in Tigray oder gar eines versuchten "Genozids" bezichtigt. Der Spiegel wusste von Abiy als "Kriegstreiber" zu berichten, der für einen "brutalen Feldzug im Norden des Landes" verantwortlich sei. Den ihm verliehenen Friedensnobelpreis betrachte der äthiopische Ministerpräsident "als Carte blanche", um einen brutalen Krieg zu führen. "Wer ist Abiy Ahmed wirklich?", wird rhetorisch gefragt.
Neben der Tatsache, dass Addis Abeba die einseitigen Anschuldigungen energisch zurückweist, erscheinen die einseitigen Schuldzuweisungen umso bemerkenswerter, als dass ein gemeinsamer Untersuchungsbericht der Äthiopischen Menschenrechtskommission (EHRC) und des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) zuletzt zu einer wesentlich differenzierteren Einschätzung kam. Zusammenfassend hätten sich demzufolge alle beteiligten Parteien schwerer Vergehen gegen die Menschenrechte schuldig gemacht. Von "Hunger als Waffe" oder einem "Genozid" ist auch in diesem Bericht keine Rede.
Das hält die US-Regierung aber keineswegs davon ab, genau dies der äthiopischen Regierung vorzuwerfen, wie US-Medien vor wenigen Tagen berichteten.
"Das Außenministerium hat außerdem eine Erklärung vorbereitet, in der die Gräueltaten der äthiopischen Regierung an den Tigrayern als Völkermord bezeichnet werden."
Und während Äthiopien wegen "grober Verstöße gegen international anerkannte Menschenrechte" vom US-Programm namens African Growth and Opportunity Act (AGOA) ausgeschlossen wurde, verlassen die Einheiten der TPLF und mit diesen verbündete Kräfte, wie etwa die Oromo Liberation Army (OLA), längst die Region Tigray und rücken mutmaßlich auf Addis Abeba vor. Die äthiopische Regierung rief derweil den Notstand aus und die Bevölkerung auf, sich gegen die demzufolge aus dem Ausland geförderte Kampagne gegen Äthiopien zu erheben.
Am Sonntag machten nun Zehntausende, andere Quellen sprechen von Hunderttausenden, Äthiopier in Addis Abeba ihrem Zorn über die US-Regierung und deren mutmaßlichen Sprachrohren in den Reihen der US-Medien Luft und verliehen gleichzeitig ihrer Unterstützung für die von ihnen gewählte Regierung und die äthiopische Armee Ausdruck.
Dabei beschuldigten die Demonstranten auch transatlantische Medienunternehmen wie etwa CNN oder auch die BBC, Falschinformationen über die Situation in Äthiopien zu verbreiten und einseitig Partei zu ergreifen. "Stoppt Fake News über Äthiopien", hieß es auf Plakaten.
Viele der anwesenden Menschen fassten ihre Forderung unter dem auf dem Kurznachrichtendienst Twitter populären Hashtag #nomore zusammen. Damit brachten sie zum Ausdruck, dass kein afrikanisches Land mehr Opfer verdeckter neokolonialer Interessen werden dürfe, die am Ende nicht "Demokratie", sondern allzu oft Elend und Leid mit sich brächten.
Zudem werfen die Demonstranten vor allem der US-Regierung und den mutmaßlich in ihrem Sinne berichtenden Medienerzeugnissen vor, bewusst Angst und Panik in der Bevölkerung zu schüren, um die Regierung in Addis Abeba so zusätzlich von innen unter Druck zu setzen. Dazu gehörten etwa eine Flut von sich gegenseitig reproduzierenden Berichten, wonach die Rebellen-Koalition unmittelbar vor Addis Abeba stehe, obwohl es sich um etwa 350 Kilometer handeln soll, während die Rebellen andernorts mutmaßlich schwere Verluste hinnehmen müssen.
CNN wusste in diesem Zusammenhang auch von "tygrischen Truppen" zu berichten, so als handele es sich bei der Verwaltungsregion Tigray um ein eigenständiges Land. Zuletzt hatte die US-Botschaft in Addis Abeba die eigenen Bürger dazu aufgefordert, schnellstmöglich das Land zu verlassen. Derweil begrüßten etliche Demonstranten die Ausreise der US-Amerikaner.
Das Fass bei der Bevölkerung in Addis Abeba zum Überlaufen brachte womöglich, dass Washington zuletzt Vertreter von neun verschiedenen Rebellengruppen hofiert hatte, die gemeinsam zum Sturz der Regierung unter Abiy Ahmed aufriefen, um dann eine sogenannte "Übergangsregierung" zu schaffen. Bei der Zeremonie in Washington "gab das Bündnis die Gründung der Vereinigten Front der äthiopischen föderalistischen und konföderalistischen Kräfte bekannt und erklärte, dass es ein Kommando zur Koordinierung der militärischen und politischen Bemühungen einrichten werde".