Äthiopien ruft nach Vormarsch der Volksbefreiungsfront von Tigray Ausnahmezustand aus

In Äthiopien verschärft sich der Konflikt zwischen der Zentralregierung in Addis Abeba und der Volksbefreiungsfront von Tigray weiter. Die Zentralregierung hat nun einen sechsmonatigen landesweiten Ausnahmezustand ausgerufen.

In Äthiopien verschärft sich der Konflikt zwischen der Zentralregierung und der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) weiter: Am Dienstag rief die Zentralregierung nach Geländegewinnen der TPLF einen sechsmonatigen landesweiten Ausnahmezustand aus. Wie die TPLF zuletzt verkündete, habe sie angeblich zwei strategisch wichtige Städte eingenommen. Weiterhin drohte die Volksbefreiungsfront mit einem Vormarsch auf die Hauptstadt. Die USA warnten unterdessen vor einer Verschärfung des Konflikts: Der Sonderbeauftragte der USA für die Region Jeffrey Feltman erklärte, ein möglicher Vormarsch der TPLF auf Addis Abeba sei "inakzeptabel".

Die Kämpfe zwischen Truppen der von der TPLF geführten Regionalregierung und der Zentralregierung unter Ministerpräsident Abiy Ahmed brachen vor etwa einem Jahr aus. Seit der von Addis Abeba Ende Juni ausgerufenen und von der TPLF nicht unterstützten humanitären Waffenruhe im Juni 2021 gelang es den Einheiten der TPLF, in die Regionen Amhara und Afar vorzudringen. Zuletzt soll die TPLF strategisch wichtige Städte wie Dese und Kombulcha erobert haben, die etwa 400 Kilometer von Addis Abeba entfernt liegen. Im Falle der Stadt Dese weist die Zentralregierung die Behauptung zurück, in Kombulcha sollen Berichten zufolge schwere Kampfhandlungen stattfinden.

Ein Sprecher der TPLF hatte erklärt, man werde gegebenenfalls auf die Hauptstadt zumarschieren, falls dies nötig sei, "um die Ziele in Tigray zu erreichen". Äthiopien wurde drei Jahrzehnte lang von Tigray und der TPLF dominiert, bis Abiy 2018 Ministerpräsident wurde. Die TPLF wirft dem Ministerpräsidenten vor, die Macht auf Kosten der Regionen immer weiter zu zentralisieren. Am Montagabend verkündete die TPLF zudem, sich mit der Oromo-Befreiungsarmee (OLA) zusammengeschlossen und angeblich Zugang zu einer der wichtigsten Autobahnen im Land verschafft zu haben. Man rücke nun auf Addis Abeba vor.

Die Behörden in der Hauptstadt Addis Abeba riefen die Einwohner dazu auf, ihre Wohngegenden gegen die TPLF zu verteidigen. Schusswaffen sollten zudem innerhalb der nächsten zwei Tage polizeilich registriert werden. Die Bevölkerung sei zur Kooperation aufgerufen. Waffenbesitzer, die sich nicht am Schutz ihrer Umgebung beteiligen könnten, sollten ihre Waffen der Regierung, nahen Verwandten oder Freunden übergeben. Jeder werde festgenommen, der versuche Chaos zu stiften. Zuvor hatte Abiy Ahmed erklärte, dass die TPLF von ausländischen Kräften "nicht-äthiopischer Herkunft" unterstützt werde.

Der US-Sondergesandte Feltman bezeichnete die Lage in Äthiopien als "besorgniserregend". Wegen Beschränkungen der Zentralregierung gelange humanitäre Hilfe nicht in den Norden des Landes, wo man Anzeichen einer Hungersnot sehe. Die Zentralregierung wies die Vorwürfe unterdessen zurück, Nahrungsmittelhilfen zu blockieren. Die US-Regierung kündigte weiter an, dass Äthiopien wegen "schwerer Verletzungen der Menschenrechte" künftig nicht mehr vom Handelsabkommen African Growth and Opportunity Act (AGOA) profitieren soll, das zollfreien Zugang zu den USA gewährt. Sofern die Lage sich bis zum Beginn des neuen Jahres nicht bessern sollte, droht die Kündigung des Handelsvertrags. Darüber informierte US-Präsident Joe Biden den Kongress in einem am Dienstag vom Weißen Haus veröffentlichten Schreiben. Für Äthiopien hat das Abkommen einen hohen ökonomischen Stellenwert.

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(rt/dpa/reuters)