Der "neue Wettlauf um Afrika" (Teil 2): Die Türkei nutzt ihre Chance

Von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, ist der afrikanische Kontinent Austragungsort eines politischen und wirtschaftlichen Wettbewerbs zwischen Staaten der EU und den USA einerseits und den sogenannten Schwellenländern andererseits geworden. Für "Afrika" muss dies nicht zwangsläufig von Nachteil sein.

von Kani Tuyala

Längst ist der "neue Wettlauf um Afrika" in vollem Gange. Dass der an Bodenschätzen reiche afrikanische Kontinent Begehrlichkeiten weckt, ist dabei jedoch alles andere als ein neues Phänomen. Es sind die geopolitischen Entwicklungen der – nunmehr – letzten Jahrzehnte, die neue globale Akteure hervorbrachten und dadurch auch die ehemaligen Kolonialmächte und die wankende Supermacht wieder in die Startblöcke zwingen, wenn es um "Afrika" geht.

Zu den aufstrebenden Nationen, die sich anschicken, nun ebenfalls am reichlich gedeckten Tisch Platz zu nehmen, zählt auch die Türkei. Zudem gilt "Afrika" nicht mehr als "verlorener Kontinent", sondern verspricht längst eine vielversprechende Entwicklung. Das ist auch der türkischen Regierung bewusst. So heißt es auf den Seiten des türkischen Außenministeriums, allgemein werde davon ausgegangen, "dass Afrika ab der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts eine aktivere Rolle im internationalen System spielen und eine immer wichtigere Rolle auf der globalen Bühne einnehmen" werde:

"Das wirtschaftliche und handelspolitische Potenzial und das geopolitische Gewicht des sich rasch entwickelnden Kontinents in verschiedenen Bereichen haben in den letzten Jahren eine große Zahl von Ländern und Investoren nach Afrika gelockt."

Zwischen den Jahren 1923 und 1998 war die Interaktion der Türkei mit Afrika gering. So hatte die Türkei als neu gegründete Republik selbst nur sehr bescheidene wirtschaftliche Ressourcen, um eine Außenpolitik in afrikanischen Dimensionen zu betreiben. Zweitens war die türkische Außenpolitik von den frühen 1920er Jahren bis in die 1960er Jahre hinein streng westlich ausgerichtet. Der erste hochrangige diplomatische Besuch aus einem Land südlich der Sahara in der Türkei ereignete sich mit dem Besuch des äthiopischen Kaisers Haile Selassie in der Türkei im März 1967, gefolgt vom Gegenbesuch des türkischen Präsidenten Cevdet Sunay in Äthiopien im Dezember 1969.

Zuletzt sorgten vor allem Berichte über die oft als nebulös empfundenen militärischen Aktivitäten der türkischen Regierung im zerrütteten Libyen für Schlagzeilen. Dabei steht die Türkei jedoch keineswegs allein da, nachdem Libyen infolge der von Frankreich angeführten NATO-Intervention 2011 praktisch dem freien Fall in ein Chaos preisgegeben wurde.

Es sind jedoch vor allem die wirtschaftlichen und diplomatischen Entwicklungen in den Beziehungen zwischen etlichen Staaten Afrikas und Ankara, die oftmals (zu) wenig Beachtung finden und dennoch ein weiteres Symptom für eine bemerkenswerte Entwicklung sind. Längst wurde der Ausbau der Beziehungen auch mit den sogenannten "Ländern südlich der Sahara" seitens der Türkei zu einem "der Grundprinzipien" der "mehrdimensionalen Außenpolitik" erklärt. Und die sich nun die "Klinke in die Hand gebende" Konkurrenz ist in Afrika willkommen. So ist sich etwa der türkische geopolitische Analyst Kenan Toprak sicher:

"Die lange Geschichte westlicher Regierungen, die Diktaturen, geheime Waffenlieferungen und Geschäftsinteressen durch finanzielle Unterstützung gefördert haben, sowie ihre spalterische Politik haben den Ländern des Kontinents mehr geschadet als genutzt."

In das entstandene Vertrauensvakuum gedenkt auch die Türkei hineinzustoßen. Um das Fundament für seinen Ausbau der Beziehungen zu den Nationen Afrikas südlich der Sahara zu legen, hob Ankara 1998 einen neuen "Aktions-Plan für Afrika" aus der Taufe. Die Initiative geht auf den damaligen türkischen Außenminister İsmail Cem zurück.

Nachdem die AKP im Jahr 2002 die Regierung übernommen hatte, wurde ein neues Kapitel in den afrikanisch-türkischen Beziehungen aufgeschlagen, um die Zusammenarbeit im Bereich Handel, Sicherheit, Kultur und Militär auf eine breitere Basis zu stellen. Im Jahre 2008 erklärte die afrikanische Union die Türkei zum "strategischen Partner". Es folgte die türkische Initiative der "Afrikanischen-Partnerschaft" im Jahr 2013. Das Jahr 2015 wurde von der türkischen Regierung wiederum zum "Afrika-Jahr" erklärt, um die zunehmende Relevanz des aufstrebenden Kontinents für die Türkei zu unterstreichen.

In den zwei Jahrzehnten, in denen Erdoğan nunmehr Ministerpräsident war und jetzt Präsident der Türkei ist, hat er bereits 30 afrikanische Länder besucht – mehr als jeder andere nicht-afrikanische Staatschef.

Parallel dazu wuchs das Handelsvolumen zwischen der Türkei und den Ländern Afrikas von 5,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2003 auf mehr als 25,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 an.

Augenscheinlich wurde Ankaras neues Bemühen um Einfluss in Afrika insbesondere in Somalia, also in Ostafrika. Dort tat sich die Türkei durch Hilfslieferungen während einer schweren humanitären Krise im Jahr 2011 hervor. Es folgten etliche Infrastrukturprojekte, aber auch Stipendien für somalische Studenten. Im September 2017 wurde dann Camp TURKSOM in Mogadischu eröffnet. Bei dieser Militärbasis handelt es sich zugleich auch um den Hauptzentrum der zwischenstaatlichen Task Force "African Eagle", wo seither tausende Soldaten der Nationalen Somalischen Armee (SNA) im Kampf gegen die militante islamistische Miliz al-Shabaab ausgebildet wurden. Der türkische Ansatz in Somalia kann als Kombination von "soft" und "hard power" verstanden werden, auch um dadurch Rivalen vom Persischen Golf – wie etwa Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate – zu kontern und den eigenen Einfluss auszubauen. 

Ein weiterer Ausdruck der sich zunehmend vertiefenden Beziehungen ist auch die Anzahl der diplomatischen Vertretungen der Türkei auf dem Nachbarkontinent Eurasiens, die von 12 im Jahr 2002 auf 43 im Jahr 2021 angestiegen ist (die erste türkische Botschaft in "Subsahara-Afrika" wurde 1926 in Addis Abeba eröffnet). Die türkische Fluggesellschaft Turkish Airlines baute in den letzten Jahren ihr Flugnetz in Afrika stetig aus und fliegt nun insgesamt 58 Ziele in 41 Ländern in Afrika an.

Die türkische Agentur für internationale Zusammenarbeit und Entwicklung (TIKA) verfügt über fast 30 Koordinierungszentren auf dem Kontinent. Das Amt für Außenwirtschaftsbeziehungen (DEIK) unterhält mit mehr als der Hälfte der afrikanischen Staaten gemeinsame Wirtschaftsgremien.

Nicht von ungefähr spricht der türkische Präsident seit einiger Zeit von der Türkei als einem "afro-eurasischen" Staat anstelle eines "eurasischen" Staates. Dies ist nicht zuletzt Ausdruck des Versuchs, bei den Beziehungen zu Afrika an die Zeiten des Osmanischen Reichs anzuknüpfen. Gleichzeitig ist die Verwendung dieses Begriffs Ausdruck einer geopolitischen und damit sowohl wirtschaftlichen als auch politischen Neuorientierung der Türkei: "Afro-Eurasien ist ein Begriff, der Afrika und Eurasien als einen einzigen Kontinent definiert."

Anfang September besuchte der Präsident Félix Tshisekedi der Demokratischen Republik Kongo für zwei Tage die Türkei, um die Perspektiven für verstärkte bilaterale Handelsbeziehungen auszuloten. Nun besuchte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf seiner jüngsten Afrika-Reise Anfang der Woche zunächst das westafrikanische Land Angola. In Luanda geizte das türkische Staatsoberhaupt nicht mit Kritik an den bisherigen politischen und wirtschaftlichen Gewinnern im Wettlauf um Afrika und unterstrich, dass "die westlichen Staaten den afrikanischen Kontinent über Jahre hinweg für ihre eigenen Interessen ausbeuteten".

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem angolanischen Amtskollegen João Lourenço teilte das türkische Staatsoberhaupt mit:

"Wir haben eine Forderung nach einer gerechten Welt. Wir müssen uns die Hände reichen für eine gerechte Welt. Wir dürfen keine Angst haben. Wenn wir Angst haben, wird dieses Denken Afrika einkreisen."

Ähnliche Töne schlägt Erdoğan in seinem kürzlich erschienenen Buch "Eine gerechtere Welt ist möglich" an. Auch Frankreich, so Erdoğan in Angola, nutze Afrika als Kontinent zur Ausbeutung, und auch Angola sei jahrelang von westlichen Mächten ausgebeutet worden. Jenseits eigener Bewertungen zeugt die offene Wortwahl von einem neuen Selbstverständnis, einem neuen Selbstbewusstsein, dessen generelle Auswirkungen für Afrika sich gerade erst abzuzeichnen beginnen – und doch von Washington bis Brüssel längst für erhebliche Nervosität sorgen. Anlass dafür waren auch folgende Worte Erdoğans:

"Als Türkei lehnen wir westlich orientalistische Ansätze gegenüber dem afrikanischen Kontinent ab. Wir nehmen die Völker des afrikanischen Kontinents ohne Diskriminierung an."

Auf praktischer Ebene wurden zahlreiche bilaterale Abkommen zwischen der Türkei und Angola unterzeichnet, wobei sich die wirtschaftlichen Beziehungen bereits auf die Bereiche Infrastruktur, Textilien, Lebensmittel, Energie und Bergbau erstrecken. Im Fokus der Gespräche standen derweil auch Rüstungsgüter und die Terrorbekämpfung. Erneut ging es bei den Gesprächen etwa um den Erwerb von Kampfdrohnen des Typs Bayraktar TB2 durch Angola. Erst vergangene Woche wurde bekannt, dass auch Marokko und Äthiopien dieses mittlerweile international begehrte türkische Rüstungsgut erwerben werden (neben der Ukraine und Polen soll sogar Großbritannien "sehr interessiert" sein). Ohnehin sind in Äthiopien bereits 200 türkische Unternehmen aktiv.

Neben Angola besuchte der türkische Präsident am Mittwoch auch den westafrikanischen Staat Nigeria. Was Nigeria anbelangt, ist es durchaus bemerkenswert zu beachten, dass die Beziehungen zwischen dem osmanischen Reich und etwa dem afrikanischem Reich und Staat Kanem-Bornu – das Teile des Nordostens vom heutigen Nigeria umfasste, bereits Jahrhunderte zurückreichen.

Auch bei den Gesprächen zwischen dem türkischen Präsident und seinem nigerianischen Amtskollegen Muhammadu Buhari ging es vor allem um die weitere wirtschaftliche und politische Stärkung der bilateralen Beziehungen. Laut Buhari seien Abkommen in den Bereichen Energie, Rüstungsindustrie, Bergbau und Erdöl unterzeichnet worden.

Zudem soll man in Abuja ebenfalls starkes Interesse an den Kampfdrohnen "made in Turkey" gezeigt haben, wobei die gegenseitige Unterstützung beim Kampf gegen Terrorismus bei den Gesprächen ebenfalls eine zentrale Rolle spielte. Dazu gehörte auch die Bitte Erdoğans, Schulen der sogenannten Gülen-Bewegung, die in mehreren Teilen Nigerias weiterhin betrieben werden, an die türkische Maarif-Stiftung zu übertragen.

Bislang weigerten sich etliche afrikanische Staaten – darunter auch Nigeria –, der Forderung Ankaras nachzukommen, jene Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen, die mit Anhängern der Gülen-Bewegung in Verbindung stehen sollen, zu schließen.

Einige Drahtzieher des fehlgeschlagenen Staatsstreichs in der Türkei seien nach Darstellung Erdoğans in Nigeria "sehr aktiv". Die Gülen-Bewegung wurde im Zuge des Umsturzversuchs 2016 von der türkischen AKP-Regierung zur Terrororganisation FETÖ erklärt:

"Ich hoffe, dass die Sensibilität, die wir im Kampf gegen den Terrorismus an den Tag legen, von unseren nigerianischen Brüdern und Schwestern und unseren Kollegen erwidert wird."

Im Gegenzug wolle man Abuja dabei unterstützen, gegen den einheimischen Terror der Boko Haram vorzugehen, und wolle auch die "Zusammenarbeit in Fragen der militärischen Verteidigung und Sicherheit mit Nigeria, das gegen terroristische Organisationen, bewaffnete Banden und Piraterie kämpft", stärken.

Nigeria ist der wichtigste Handelspartner der Türkei in Subsahara-Afrika mit einem Handelsvolumen von 754 Millionen US-Dollar im Jahr 2020. Analysten gehen davon aus, dass der bilaterale Handel zum Ende des Jahres auf mehr als 1 Milliarde US-Dollar ansteigen wird.

Eine weitere Station auf der Afrika-Reise des türkischen Präsidenten war das kleine westafrikanische Land Togo, wo er mit seinem Gefolge an Diplomaten und Wirtschaftsvertretern u.a. mit seinem Amtskollegen Faure Gnassingbé zusammentraf. Laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu erklärt sich das wachsende Interesse Ankaras insbesondere mit dem "wirtschaftlichen Wachstum, das Togo in den letzten Jahren verzeichnet hat, und der politischen Stabilität". Demzufolge hofft die türkische Regierung auf eine deutliche Zunahme des Handels zwischen den beiden Ländern.

Bislang erwirbt Togo hauptsächlich Fertigprodukte – vor allem Baumaterial und landwirtschaftliche Erzeugnisse – aus der Türkei. Laut lokalen Medien seien die "türkischen Waren billiger … als die europäischen und von besserer Qualität als die chinesischen Waren". Dies sieht zumindest auch der an der Universität Bayreuth auf die Beziehungen zwischen der Türkei und Afrika spezialisierte Forscher Ibrahim Bachir Abdoulaye so. Den wachsenden Einfluss der Türkei sieht er folgendermaßen begründet:

"Das Geschäftsmodell der Türkei ist im Gegensatz zu anderen Akteuren schnell, praktisch und wirkungsvoll. Türkische Produkte werden von den Afrikanern bevorzugt, da sie billiger als die europäischen und qualitativ hochwertiger als die chinesischen Produkte sind."

Das Interesse in Togos Hauptstadt Lomé an türkischer Expertise liege demzufolge insbesondere in den Bereichen Baugewerbe und Landwirtschaft. Der togolesische Staatschef erklärte: 

"Afrika macht einen großen Schritt in Richtung Integration und eines einheitlichen kontinentalen Marktes. Ich glaube, dass türkische Investoren über uns Zugang zum gesamten afrikanischen Markt erhalten können."

Der Afrika-Terminkalender des türkischen Präsidenten ist dicht gepackt, denn kaum zurück von seiner viertätigen Reise, begann am Donnerstag in Istanbul unter dem Slogan "Vertiefung der Partnerschaft Türkei-Afrika: Handel, Investitionen, Technologie und Logistik" bereits das dritte, zweitägige sogenannte "türkisch-afrikanische Wirtschaftsforum". Vertreter aus 45 afrikanischen Ländern nahmen an dem Forum teil, das am ersten Tag rund 3.000 türkische und afrikanische Geschäftsleute zählte. Bereits am 17. Dezember wird dann der ebenfalls in Istanbul stattfindende "Türkei-Afrika-Partnerschaftsgipfel" folgen.

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Anmerkung:

In diesem Artikel wird mehrfach der Begriff "Afrika", oder "afrikanisch" verwendet. Dies ist grundsätzlich unangemessen, wenn es um den zweitgrößten Kontinent der Welt, mit aktuell 54 Staaten geht. Hinzu kommen hunderte jahrtausendealte Völker und noch mehr Sprachen. Zurecht wird die häufige Verwendung des Terminus "Afrika" daher kritisiert, ist sie doch allzu oft Ausdruck einer historisch gewachsenen Ignoranz gegenüber den unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen lokalen Entwicklungen und Gegebenheiten. Der Autor des Artikels ist sich dieser Problematik bewusst. Gleichzeitig stellt die erwähnte Komplexität eine Herausforderung dar, der im Kontext auch dieses Artikels nicht ausreichend Rechnung getragen werden konnte, da zudem bereits etablierte Begrifflichkeiten verwendet werden.