von Kani Tuyala
Neuerdings rücken Russlands vermeintliche Ambitionen auf dem afrikanischen Kontinent wieder verstärkt in das Blickfeld von Politik und Medien. Jüngstes Beispiel ist wohl der Wille der malischen Regierung, das russische Söldnerunternehmen Wagner zu beauftragen, um des Terrorismus im Land endlich Herr zu werden.
Doch entgegen der vorherrschenden Meinung, dass "Afrika" im Zuge jüngster geopolitischer Entwicklungen erst in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus Moskaus gerückt oder geraten sei, empfing Wladimir Putin bereits im Jahr 2001 die Staatsoberhäupter Algeriens, Gabuns, Guineas, Ägyptens, Nigerias und Äthiopiens. Doch erst im September 2006 besuchte der russische Präsident erstmals selbst das sogenannte "Afrika südlich der Sahara" (2005 hatte er Ägypten besucht, 2006 auch schon Marokko). Seine Reise führte ihn an die südliche Spitze Afrikas, wo er vom damaligen südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki empfangen wurde.
In seiner in demselben Jahr gehaltenen Rede an die Nation hatte der russische Präsident erklärt, dass die "Konsolidierung der Beziehungen zu Afrika" eine der außenpolitischen Prioritäten der russischen Regierung darstellen werde (in der gleichen Rede hatte Putin u.a. auch darauf hingewiesen, dass der US-amerikanische Militärhaushalt den russischen um das 25-fache übersteigt).
Damit läutete "Putin" die Wiederbelebung der Beziehungen Russlands zu den Staaten Afrikas ein, die in den Jahren zuvor einen Tiefpunkt erreicht hatten. Die russische Regierung setzte sich folglich kein geringeres Ziel, als das Erbe der Sowjetunion anzutreten, die sich zu Zeiten des sogenannten Kalten Kriegs vor allem durch ihre Unterstützung für antikoloniale Befreiungsbewegungen – etwa in Angola, Mosambik, Simbabwe, Namibia und Südafrika – einen festen Platz und erheblichen Einfluss auf dem Nachbarkontinent zu Eurasien gesichert hatte. Das South African Institute of International Affairs (SAIIA) hielt fest:
"Man sollte nicht vergessen, dass Russland den afrikanischen Völkern in ihrem Kampf um Unabhängigkeit, beim Aufbau der nationalen Industrien und bei der Entwicklung der Humanressourcen große Hilfe geleistet hat."
Wladimir Shubin vom Institut für Afrikastudien an der Russischen Akademie der Wissenschaften erinnert sich an Worte Nelson Mandelas, die dieser demnach im Juli 1991 getätigt hätte: "Ohne eure Unterstützung wären wir nie dort angekommen, wo wir jetzt sind."
Von den 1960er Jahren bis 1991 wurden im Rahmen von Austauschprogrammen 50.000 Afrikaner an sowjetischen Universitäten ausgebildet, weitere 200.000 nahmen an verschiedenen Fortbildungsmöglichkeiten teil. Das ist eine Historie, die sich bis heute durchaus positiv auf die Wahrnehmung Russlands vor Ort auf dem afrikanischen Kontinent auswirkt. Nicht wenige der ehemaligen Studenten und Stipendiaten wurden in Afrika zu politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern.
Auch wenn Russland in einem ersten Schritt afrikanischen Ländern im Jahr 2008 Schulden aus der Sowjet-Zeit in Höhe von rund 16 Milliarden US-Dollar erließ (gefolgt von 20 Milliarden US-Dollar dann nochmals im Jahr 2012), dauerte es noch einige Jahre, bis die erwähnte Konsolidierung der Beziehungen weitere Gestalt annahm. 2013 schließlich besuchte der russische Präsident erneut Südafrika. Anlass war ein Gipfeltreffen der BRICS-Staaten, jenem Staatenverbund BRIC, dem Pretoria dann im Jahr 2010 beigetreten war. Die Unterzeichnung einer umfassenden strategischen Partnerschaft zwischen Russland und Südafrika in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Verteidigung gilt vielen Beobachtern als der eigentliche Startschuss der Rückkehr Russlands nach Afrika.
2014 gilt als weiteres Schlüsseljahr im Bestreben Russlands, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den Ländern Afrikas wieder zu stärken und ebenfalls teilzuhaben an dem, was Thabo Mbeki als Präsident Südafrikas die "afrikanische Renaissance" nannte. Auf das Bruttosozialprodukt als Indikator von "Entwicklung" fokussiert, hieß es dazu 2014 etwa in einem UN-Artikel:
"Die Wirtschaft ist seit dem Jahr 2000 stetig gewachsen, und UN-Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass das durchschnittliche Wachstum in Afrika in den Jahren 2014 und 2015 das aller anderen Regionen der Welt – mit Ausnahme Chinas – übertreffen wird."
Das Jahr 2014 markierte zudem einen für Russland entscheidenden geostrategischen Wendepunkt, den Beginn der Sanktionsspirale gegen Russland im Zuge der "Annexion" der Schwarzmeer-Insel Krim. Auch um die wirtschaftlichen und politischen Verbindungen zu diversifizieren, richtete Russland seinen Blick verstärkt in Richtung Afrika, so spekulieren zumindest einige Beobachter.
Gleichzeitig nahmen unter den afrikanischen Staats- und Regierungschefs die Sorgen über eine sich schon längst manifestierende Dominanz Chinas in den Handelsbeziehungen ebenso stetig zu. Aber auch die Unzufriedenheit mit den traditionellen Handelspartnern aus Europa und den USA und einem damit einhergehenden "Neokolonialismus" im Gewand der "Demokratieförderung" – wobei man gleichzeitig bei keineswegs demokratisch und nach menschenrechtlichen Paradigmen regierten Staaten allzu gerne mal ein Auge (oder auch gleich beide) zudrückt, solange die eigenen Interessen gewahrt bleiben.
Ebenso wie China besitzt Russland keine afrikanische Kolonialgeschichte und gilt auch daher als willkommener neuer Partner. Der tansanische Politikwissenschaftler Muhidin Shangwe formuliert es folgendermaßen:
"Seine [Russlands] politische Allianz [mit "Afrika"] wird strategisch als entscheidend angesehen, um die Hegemonie des Westens im globalen Machtgefüge herauszufordern. Gleichzeitig hat Afrika seine eigenen Bedenken gegen die von den westlichen Mächten dominierte Weltordnung."
Russlands wiederentdecktes strategisches Interesse am afrikanischen Kontinent speist sich folglich aus mehreren Quellen. Da wäre zum einen die wieder wachsende geopolitische und wirtschaftliche Bedeutung Afrikas und damit einhergehend das Ende des sogenannten "Afrika-Pessimismus". Zudem handelt es sich um ein durchaus gegenseitig erkennbares Interesse am Ausbau der Beziehungen – mit dem Ziel, die eigene Handlungsbasis zu diversifizieren.
Diese Entwicklung blieb auch in Washington, D.C. nicht unbemerkt und sorgte für Befürchtungen hinsichtlich der "nationalen Sicherheitsinteressen" – der USA. So war sich der damalige Sicherheitsberater der US-Regierung John Bolton in Jahre 2018 sicher:
"Die räuberischen Praktiken Chinas und Russlands hemmen das Wirtschaftswachstum in Afrika, bedrohen die finanzielle Unabhängigkeit afrikanischer Staaten, verhindern Möglichkeiten für US-Investitionen, beeinträchtigen US-Militäroperationen und stellen eine erhebliche Bedrohung für die nationalen Sicherheitsinteressen der USA dar."
Um die wachsende Bedeutung zu unterstreichen, die Russland den Beziehungen zu den Ländern Afrikas beimisst, organisierte die russische Regierung ein Jahr nach den bemerkenswerten Worten Boltons den ersten sogenannten Russland-Afrika-Gipfel. 45 afrikanische Staats- und Regierungschefs und insgesamt 3.000 Delegierte, Minister und Geschäftsleute reisten an das Schwarze Meer, um in Sotschi die Zukunft der Beziehungen zu diskutieren. Alle 54 afrikanischen Staaten waren auf die eine oder andere Weise dort vertreten. Demzufolge war es "das erste Mal in der Geschichte des modernen Russlands, dass eine Veranstaltung dieser Art auf so hohem Niveau stattfindet, und sie ist beispiellos in der Geschichte der russisch-afrikanischen Beziehungen".
Offizielles Ziel der zweitätigen Veranstaltung war die weitere Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Kooperation zwischen der Russischen Föderation und den Nationen Afrikas.
Aktuell existieren einige wenige russische Hauptakteure auf dem afrikanischen Kontinent: Die föderale Agentur für Atomenergie Russlands Rosatom, das Mineralölunternehmen Rosneft und das staatliche Rüstungsunternehmen Rosoboronexport. Hinzu kommen der Energiekonzern Gazprom und die russische staatliche Gesellschaft Rostec. Bislang vor allem in Nordafrika aktiv, erstrecken sich die Geschäftsaktivitäten zunehmend auch in südlichere Gefilde des afrikanischen Kontinents. Dabei konzentrieren sich die russischen Interessen in Afrika bisher vor allem auf den Abbau von Edelmetallen, die Öl- und Gasförderung sowie die Proliferation der Kernenergie. Hinzu kommen Rüstungsexporte in beachtlicher Größenordnung.
So entfielen nach Angaben des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (SIPRI) zwischen 2016 und 2020 18 Prozent aller russischen Rüstungsexporte auf Afrika, mit Algerien als dem größten Importeur russischer Rüstungstechnologie. Seit 2015 unterzeichnete Russland Militärabkommen mit 21 afrikanischen Staaten. Die Russische Föderation gilt nunmehr als größter Waffenlieferant Afrikas. 49 Prozent der entsprechenden Importe in Afrika stammen aus Russland. Auf den Plätzen folgen die USA (14 Prozent) und China (13 Prozent).
Auf dem Gipfeltreffen in Sotschi, das unter dem Motto "Für Frieden, Sicherheit und Entwicklung" stattfand, hob der Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union (AU), der ehemalige Premierminister des Tschad Moussa Faki, die Grundsätze der strategischen Partnerschaft zwischen Afrika und Russland und deren Potenzial für die Zusammenarbeit auch jenseits von Rüstung und Ressourcen hervor, so etwa in den Bereichen Landwirtschaft, Industrie, Handel, Infrastruktur, Bildung und Medien. Der russische Präsident erklärte in seiner Eröffnungsrede:
"Es ist das erste Treffen dieser Größenordnung, das von unserem gegenseitigen Wunsch zeugt, die Beziehungen in allen Bereichen zu fördern und unsere vielschichtige Partnerschaft zu stärken."
Erneut unterstrich Wladimir Putin, dass "der Ausbau der Beziehungen zu afrikanischen Ländern und regionalen Organisationen zu den Prioritäten der russischen Außenpolitik" zähle. Dies begründete der russische Präsident u.a. damit, dass Afrika immer weiter an "politischem und wirtschaftlichem Gewicht" gewinne, und sich zunehmend zu einem "wichtigen Pfeiler der multipolaren Weltordnung" entwickele.
Nach Ansicht der Afrikanischen Union (AU) handelte es sich bei dem Event um einen "strategisch wichtigen Schritt zur Schaffung günstiger Bedingungen für die Entwicklung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Afrika und der Russischen Föderation".
"Die Veranstaltung trug durch einen konstruktiven Dialog dazu bei, einen gemeinsamen Standpunkt zu Fragen von gemeinsamem Interesse zu entwickeln und die Zusammenarbeit auf eine ganz neue Ebene zu bringen."
Auch wenn sich das Handelsvolumen Russlands mit den Staaten Afrikas in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt hat, bleibt es mit 20 Milliarden US-Dollar (2018) weit hinter dem etwa der USA, der EU oder gar Chinas (185 Milliarden US-Dollar) zurück. Zudem entfällt bislang nur ein kleiner Teil des Handelsvolumens auf die afrikanischen Länder südlich der Sahara. In Zukunft dürften auch russische Unternehmen und staatliche Investitionen von der Panafrikanischen Freihandelszone (AfCFTA) profitieren. Diese sieht vor, die Zölle auf 90 Prozent aller innerafrikanischen Produkte abzuschaffen. Ziel des im März 2018 aus der Taufe gehobenen Abkommens ist die wirtschaftliche Integration des Kontinents durch den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen. Der offizielle Startschuss fiel am 1. Januar 2021.
92 Vereinbarungen, Verträge und MoUs wurden in Sotschi unterzeichnet, wobei über 170 russische Unternehmen und Organisationen insgesamt 280 Geschäftsentwürfe einreichten. Ähnlich wie bei den USA und der EU dürften jedoch vor allem auch die natürlichen Ressourcen des afrikanischen Kontinents weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Darauf deutet u.a. auch die Analyse (Russia's Africa Policy) von Wladimir Shubin, der zugleich Professor für afrikanische Geschichte und Politik an der Russischen Staatlichen Universität für Geisteswissenschaften ist, und von Alexandra Archangelskaja am Institut für Afrikawissenschaften an der Russischen Akademie der Wissenschaften hin.
So verfüge Russland zwar in der Tat über beträchtliche eigene Reserven an natürlichen Ressourcen, aber "die Erschließung der enormen russischen Energieressourcen wäre jedoch weitaus kostspieliger als die Erschließung der gleichen Ressourcen in Afrika. Die Rentabilität der Produktion und die Qualität der Rohstoffe machen Afrika daher zu einem attraktiven Partner". Hinzu komme das steigende Interesse am wachsenden afrikanischen Markt für Güter und Dienstleistungen aller Art. Zweifellos beabsichtigt Russland, beim "neuen Wettlauf um Afrika" ein entscheidendes Wörtchen mitzureden.
Doch der Modus Operandi des Sotschi-Gipfels stieß auch auf Kritik – vor allem auch innerhalb Afrikas. Als anmaßend und nicht mehr zeitgemäß wurde dabei der Ansatz des "Afrika plus eins" empfunden, bei dem ein Land – und mag es auch das größte Land der Welt sein – die Staatenlenker ganz Afrikas zum Gipfeltreffen ruft.
Dieser Ansatz wurde zum Beispiel innerhalb der Afrikanischen Union (AU) kritisiert, wo er als bevormundend und damit als unfruchtbar angesehen wird. Im Jahr 2006 nahm die AU die Banjul-Formel an, nach der die AU selbst 15 afrikanische Staats- und Regierungschefs, darunter die Leiter der fünf Regionen des Kontinents, für die Teilnahme an solchen Gipfeltreffen auswählt. Der Gipfel in Sotschi soll diese Vereinbarung ignoriert haben, auch wenn sie ohnehin keinen verbindlichen Charakter besitzt.
Nunmehr findet schon bald der zweite Gipfel statt. Das erneute Treffen auf höchster Ebene ist für Oktober 2022 in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba geplant. Wsewolod Tkatschenko, Direktor der Afrika-Abteilung des russischen Außenministeriums, erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass "die afrikanischen Partner jetzt konkrete Taten, möglichst substanzielle Ideen und nützliche Vorschläge erwarten".
Wie der Berater und Journalist Kester Kenn Klomegah berichtete, wies der Leiter des Sekretariats des Russisch-Afrikanischen Partnerschaftsforums (RAPF) Oleg Oserow zudem darauf hin, dass für die afrikanische Seite nun die Beteiligung Russlands am Aufbau des Agrar- und Industriesektors, an großen Infrastrukturentwicklungsprojekten, an der weiteren Entwicklung des Energiesektors, der Landwirtschaft, des Bergbausektors und der Digitalisierung in den Vordergrund rücke.
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