von Kani Tuyala
Zwanzig Jahre dauerte der Krieg in Afghanistan, bei dem hunderttausende Menschen ihr Leben verloren und an dem sich am Ende vor allem die US-Rüstungsindustrie ein weiteres Mal gesundstoßen konnte. Politisch ein Fiasko an Planlosigkeit und Heuchelei – militärisch-industriell betrachtet ein profitables Fest.
Wie üblich befeuerte das militärische Desaster zudem eine humanitäre Katastrophe mit Ansage. Die UNO spricht von 2,6 Millionen afghanischer Flüchtlinge und aktuell 3,5 Millionen Binnenvertriebenen. Der allergrößte Teil der afghanische Flüchtlinge strandet dabei in Nachbarstaaten, wie etwa Iran – von der transatlantischen Gemeinschaft sanktioniert –, Pakistan oder den zentralasiatischen Staaten Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Doch der Schwamm ist vollgesogen.
Längst wandte sich die US-Administration daher nun an mit ihr "befreundete" Drittstaaten weltweit, um diese dazu zu bewegen, afghanische Flüchtlingen bei sich aufzunehmen – temporär, wie es heißt. Darunter sind auch fernere Länder wie Mexiko, Kolumbien, Albanien, das Kosovo und das ebenfalls von Washingtons "Hilfsgeldern" abhängige Uganda. Dieses ostafrikanische Binnenland beherbergt bereits 1,5 Millionen Flüchtlinge (etwa 3,6 Prozent der ugandischen Bevölkerung) und gilt als eines der vier zahlenstärksten Flüchtlingsaufnahmeländer weltweit.
Vor wenigen Tagen brachen 51 von demzufolge insgesamt zweitausend Flüchtlingen mit einem von dem "globalen Entwicklungsunternehmen" Sayara International und u.a. durch die Rockefeller Foundation finanzierten Charterflug nach Entebbe auf. Nach den chaotischen Vorgängen der vergangenen Tage in Afghanistan festsitzende ugandische Staatsangehörige, insgesamt soll es sich um bis zu 2.500 handeln, fanden dagegen keinen Platz in diesem Flugzeug. In einer offiziellen Erklärung hieß es zu dem bemerkenswerten Umstand:
"Sie waren nicht in der Lage, den Flug anzutreten. Es werden Vorkehrungen getroffen, um sie mit einem späteren Flug zu bringen."
Bei den nunmehr in Uganda Angekommen soll es sich nach offiziellen Angaben vor allem um afghanische Frauen, Kinder, aber auch Angehörige anderer Nationalitäten handeln. Aktuellen Berichten zufolge werden die Flüchtlinge nun in 5-Sterne-Hotels wie dem Imperial Resort Beach in Entebbe untergebracht – bezahlt von der US-Regierung und von mit ihr kooperierenden Organisation der "humanitären Hilfe".
Die US-Botschaft zeigte sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter hocherfreut über die Bereitschaft der ugandischen Regierung, der dringenden "Bitte" aus Washington, D.C. nachzukommen:
"Die ugandische Regierung hat erneut ihre Bereitschaft unter Beweis gestellt, sich in Angelegenheiten von internationalem Interesse einzubringen."
Die US-Botschafterin in Uganda Natalie Brown brachte "ihre tiefe Wertschätzung für die vorübergehende Hilfe für die Evakuierten aus".
Jährlich erhält Uganda sogenannte Entwicklungs- und Militärhilfe in Höhe von 970 Millionen US-Dollar.
Dafür, dass Uganda stramm an der Seite der US-Administration steht, darf der "Langzeitherrscher" Museveni vor Ort mehr oder minder unbehelligt mit eiserner Faust regieren (und sorgte dadurch für eine gewisse "Stabilität"). Ansonsten wäre er als brutaler "afrikanischer Diktator" wohl schon längst von der Macht entfernt worden. Was ein "Regime" ist oder nicht, wird nicht in Uganda, Libyen, Ägypten oder sonst wo entschieden, sondern eben in Washington.
Währenddessen sind bei Weitem nicht alle der oft selbst bettelarmen Ugander von der erneuten Aufnahmebereitschaft ihrer Regierung begeistert. So werden auch Befürchtungen laut, dass die Anwesenheit afghanischer Flüchtlinge womöglich Anschläge von Taliban-Sympathisanten oder der in Somalia operierenden Al-Schabab nach sich ziehen, die das Land destabilisieren könnten. Dabei werden Erinnerungen an den Juli 2010 wach, als bei zwei Bombenanschlägen in der Hauptstadt Kampala mindestens 74 Menschen getötet wurden. Al-Schabab bekannte sich zu dem Anschlag.
Im geostrategisch enorm bedeutsamen Somalia ist die ugandische Regierung an der Seite der USA im "Anti-Terror-Kampf" dabei – ohne dass es bis heute gelungen wäre, der nebulösen islamistischen Gruppierung das Handwerk zu legen. Doch auch in Kriegsgebieten wie Irak und eben Afghanistan stellte die ugandische Regierung ihre Dienstleistungen zur Verfügung – in Gestalt von Söldnern. Bei diesen soll es sich geradezu um einen "Exportschlager" des Landes handeln.
Zu den kritischen ugandische Stimmen – was die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge auf Wunsch der US-Regierung angeht – zählt der Politiker Francis Babu. Laut dem ehemaligen Minister ist es wenig einleuchtend, warum die USA nicht selbst die Flüchtlinge aufnehmen. Stattdessen lasse sich Uganda in Entwicklungen mit womöglich unabsehbaren Folgen hineinziehen:
"Warum können die USA diese Flüchtlinge nicht aufnehmen? Unseren Nachbarn und Mitmenschen in Afrika zu helfen, ist in Ordnung. Warum gehen wir in den Nahen Osten, der schon zu lange eine unruhige Region ist?"
Die USA, so Babu, verfügten über genügend eigene Kapazitäten. "Warum drängen sie uns, sie aufzunehmen? Wir haben bereits einen Preis für unsere Anwesenheit in Somalia gezahlt, wollen wir noch mehr?"
Zugleich wollen die Vereinigten Staaten nach Angaben von US-Medien bis Ende 2021 wohl weniger als 10.000 Afghanen als Flüchtlinge anerkennen. Die USA sind demzufolge drauf und dran, "das Jahr mit der niedrigsten jemals verzeichneten Zahl von Flüchtlingsaufnahmen zu beenden".
Was den mutmaßlich "temporären" Charakter des Flüchtlingsdeals mit Uganda anbelangt, wo die Flüchtlinge vor ihrer mutmaßlichen Weiterreise Sicherheitskontrollen durchlaufen sollen, zeigt sich die Entwicklungs- und Migrationsexpertin Stefanie Barratt kritisch und vermutet eine "gezielte Taktik":
"Es wäre natürlich möglich, die Personen direkt in die USA zu bringen. Stattdessen werden wieder einmal die Grenzen externalisiert."
Laut der Statistikerin könne es "mehrere Monate bis Jahre dauern (...), bis die Verfahren in den Drittländern abgeschlossen sind und klar ist, wie es mit den Betroffenen weitergeht". In der Zwischenzeit könne viel passieren.
Was die ebenfalls am Afghanistan-Krieg beteiligte Bundesregierung betrifft, wurde hierzulande noch bis Anfang August nach Afghanistan abgeschoben. Schnelle unbürokratische Hilfe gibt es bis heute nicht, und Bundesinnenminister Horst Seehofer schlägt scharfe Töne an, zuletzt gegenüber der Bild am Sonntag:
"Wir werden alles daransetzen, um den unkontrollierten Zuzug von Migranten nach Europa zu verhindern."
Die Flüchtlingsbewegungen aus Afghanistan aber auch aus Syrien und dem Irak – also aus den ebenfalls von der transatlantischen Interventionspolitik heimgesuchten und destabilisierten Ländern – würden sehr genau beobachtet.
"Notfalls werden wir die Kontrollmaßnahmen an unsere Grenzen verschärfen. Nicht jeder, der in unser Land will, darf einreisen."
Zuvor waren den Sicherheitsbehörden nach den vielfach kritisierten Evakuierungsflügen der Bundeswehr aus Kabul immerhin sieben Afghanen bei Kontrollen aufgefallen und vorsorglich festgesetzt worden. Vier vormals abgeschobenen Straftätern sei es gelungen, nach Deutschland zurückzukehren. Der aufgrund des Afghanistan-Desasters von Rücktrittsforderungen geplagte Bundesaußenminister Heiko Maas erklärte am Montag, dass man nur denjenigen bei der Ausreise aus Afghanistan helfen werde, die über eine Aufnahmezusage in Deutschland verfügten.
Für all die anderen ehemaligen und nun auf sich gestellten afghanischen "Ortskräfte" ohne Aufnahmezusage gilt, was das Auswärtige Amt folgendermaßen formuliert:
"Auch nach Ende der Evakuierungsflüge haben ehemalige Ortskräfte die Möglichkeit, über Ihren vormaligen Arbeitgeber eine Gefährdungsanzeige sowie einen Antrag nach dem Ortskräfteverfahren zu stellen, sofern das Beschäftigungsverhältnis nicht bereits vor 2013 endete. Ansprechpartner hierfür ist der frühere Arbeitgeber."
Inzwischen hat Ruanda, ein weiteres armes afrikanisches Land, das nichts mit dem Krieg in Afghanistan am Hut hatte, auf Bitten der US-Regierung ebenfalls bereits erste afghanische Flüchtlinge aufgenommen. Es handelt sich um 250 Schülerinnen des einzigen afghanischen Mädcheninternats, um dessen Lehrkräfte und weitere Mitarbeiter sowie um Familienangehörige. Ihr Aufenthalt vor Ort soll "temporär" sei, heißt es.
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