von Kani Tuyala
Im Dreiländereck Burkina Faso, Mali und Niger kommen die Menschen nicht zur Ruhe. Bei immer neuen Anschlägen der vor Ort operierenden und sogenannten "islamistischen" Terrorgruppen verloren allein seit 2020 Tausende Menschen ihr Leben. Nun ereignete sich vor wenigen Tagen ein verheerender Anschlag im Sahelgrenzland Burkina Faso (übersetzt in etwa "Land der Aufrechten"). Etwa 160 Bewohner der Stadt Solhan, gelegen in der Provinz Yagha im Grenzgebiet zu Niger, starben. Es handelt sich um den tödlichsten Anschlag in Burkina Faso seit 2015 – einem Land, das noch vor einigen Jahren für seine Stabilität weltweite Anerkennung fand.
Laut dem burkinischen Sicherheitsanalysten Mahamadou Sawadogo handelte es sich bei dem Anschlag um eine Machtdemonstration. Der Politikwissenschaftler Doudou Sidibé schlägt in diesem Zusammenhang einen Bogen zur "Befreiung" Libyens durch die NATO (mit Frankreich an der Spitze) im Jahr 2011.
"Jede Menge Dschihadisten und Terroristen verließen Libyen (nach dem Sturz Gaddafis) und strömten nach Mali, Niger und Brukina Faso."
Es gehe den Terroristen jedoch auch darum, zu schockieren und Aufmerksamkeit zu erlangen, da sie ihr eigentliches Ziel bislang nicht erreicht hätten: die Errichtung eines islamischen Gottesstaats.
Nicht zu vergessen ist, dass der aktuellste Anschlag in einem Goldabbaugebiet Burkina Fasos stattfand. Beim Branchendienst Planet Gold heißt es zum Thema:
"Heute ist Burkina Faso der viertgrößte Goldproduzent Afrikas und befindet sich inmitten eines modernen Goldrausches."
Von dem wie üblich allerdings die lokale Bevölkerung am wenigsten profitieren dürfte. Ausgerechnet eine Reihe von EU-Staaten drückten derweil ihr Mitgefühl aus, und auch an Solidaritätsbekundungen mangelt es mal wieder nicht. So verurteilte die Europäische Union (EU) die "barbarischen und feigen Angriffe". Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian kündigte auf Twitter wiederum gar eine Reise nach Burkina Faso an und erklärte, er werde dabei "die Solidarität Frankreichs zum Ausdruck bringen".
Doch genau darin liegt das Problem, denn es ist die vermeintliche "Solidarität" und die militärische Präsenz Frankreichs vor Ort, die die Sahelstaaten in einen immer tieferen Sumpf aus Tod und Verderben abgleiten lässt. Es wäre absurd zu glauben, dass es Frankreich und seinen Partnern darum ginge, vor Ort für Stabilität und Frieden zu sorgen, während beides seit dem militärischen Engagement vor Ort in immer weitere Ferne rückt. Die ehemalige burkinische Ministerin für die Förderung von Frauen, Nestorine Sangaré, drückte es diplomatisch aus:
"Selbst ohne Mitverantwortung ist es für Frankreich besser, Burkina Faso gleichzeitig mit Mali zu verlassen, denn Frankreichs Präsenz ist nutzlos."
Bei seinem "Engagement" kann Frankreich mehr denn je auch auf die Bundeswehr zählen. Nach dem nun absehbaren Ende des Einsatzes in Afghanistan sind zusätzliche Kapazitäten für Mali frei geworden. Und so wird Mali der größte Auslandseinsatz der Bundeswehr sein, rund 1.000 deutsche Soldaten sind derzeit bereits an der MINUSMA-Mission beteiligt.
Seit geraumer Zeit wächst nun die Stimmung gegen die militärische Präsenz (gerne "antifranzösische Stimmung" genannt) in der Sahelregion. Vor allem in Mali fordern immer wieder tausende Demonstranten den Abzug Frankreichs und das Recht, die Geschicke des eigenen Landes doch auch bitte in die eigenen Hände nehmen zu dürfen. Doch Frankreich verfolgt auch vor Ort eigene "Sicherheitsinteressen", die darin bestehen sollen, dem Terrorismus das Handwerk zu legen, bevor er nach Europa überschwappt.
Seit Jahren ist man daher mit der Militärmission "Barkhane" vor Ort präsent, freilich ohne substanzielle Erfolge – zumindest beim Antiterrorkampf – vorweisen zu können. Mehr als 5.000 Soldaten hat Paris in Mali und den Nachbarländern stationiert – ein Drittel seiner gesamten im Ausland stationierten Truppen.
Als dann 13 französische Soldaten der Antiterroroperation bei einem Zusammenstoß zweier Helikopter im November 2019 starben, forderte der französische Präsident Emmanuel Macron auf einer Pressekonferenz am Rande des NATO-Gipfels im Dezember 2019 hemdsärmelig eine Erklärung der Sahelstaaten zum Engagement Frankreichs in der Region.
Die schwachen und abhängigen Regierungen erklärten ihre volle Solidarität mit Frankreichs Vorgehen, aber auch dem der Vereinten Nationen im Rahmen der eigenen Mission MINUSMA. So wurde im Januar 2020 im französischen Pau die sogenannte "Koalition für den Sahel" bestehend aus den G5-Staaten (Burkina Faso, Mali, Niger, Mauretanien und Tschad) aus der Taufe gehoben.
Macron erklärte:
"Das gemeinsame Kommuniqué drückt den Wunsch aus, dass Franzosen und Europäer vor Ort bleiben."
Währenddessen gab der Präsident Burkina Fasos zu Protokoll, die Priorität des Militäreinsatzes läge ab sofort auf dem Dreiländereck (Mali, Niger und Burkina Faso). Was Mali anbelangt, gibt es auch dort jede Menge Gold. Das Land ist der drittgrößte Goldproduzent Afrikas. Doch auch weitere Ressourcen begründen den Fluch des eigentlichen Reichtum des Landes, darunter die "Konfliktressourcen" Uran und größtenteils noch unerschlossene Ölvorkommen. Darüber hinaus sollen erhebliche Vorkommen an Kupfer, Bauxit, Phosphat und Diamanten im Boden Malis schlummern.
Vor allem westliche Analysten bezweifeln, dass die Ressourcen ein Grund für das militärische Eingreifen in Mali seien. So habe China ohnehin schon längst das malische Feld bestellt. Doch gerade das sich daraus ergebende geopolitische Gerangel und die französische Angst davor, die eigene Vormachtstellung vollständig einzubüßen, befördern die Destabilierung. In Le Temps hieß es bereits im Januar 2013:
"Malis Nähe zu Niger (dem viertgrößten Uranproduzenten der Welt), seine Zugehörigkeit zur Sahelzone, die von Experten als 'Scharnierzone für den Transport von Öl und Gas' angesehen wird, und die Tatsache, dass das Land ein wichtiger Faktor in der Weltwirtschaft ist, sind alles Faktoren, die den Krieg beeinflussen."
Ende Mai erklärte nun das malische Verfassungsgericht dann Oberst Assimi Goïta zum neuen Übergangspräsidenten des fragilen Sahelstaats (ebenfalls einst eine sogenannte "Musterdemokratie"). Im August 2020 hatte Goïta einen Militärputsch gegen den gewählten Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta geführt.
Nach dem Sturz der Regierung am 18. August wurde der Putschistenführer zum Vizepräsidenten ernannt, während der frühere Verteidigungsminister Bah N'Daw am 21. September zum Übergangsstaatschef wurde. Die Rückkehr zur Zivilherrschaft in Mali hätten eigentlich N'Daw und sein Premierminister Moctar Ouané sicherstellen sollen. Am 24. Mai 2021 waren sie aber zwischenzeitlich vom malischen Militär festgenommen worden. Die sogenannte "internationale Gemeinschaft" einschließlich der Vereinten Nationen hatte ihre Inhaftierung verurteilt. N'Daw und Ouané wurden inzwischen wieder auf freien Fuß gesetzt. Am Montag wurde Goïta offiziell vereidigt.
Wie es der mutmaßliche Zufall will, erfreute sich der Putschistenführer in der Vergangenheit mehrerer Aufenthalte in Deutschland. Wie die Sprecherin des Bundesverteiigungsministeriums jüngst erklärte, hatte Goïta 2008 einen Logistiklehrgang bei der Bundeswehr und 2016 ein Seminar am George C. Marshall Center in Garmisch-Partenkirchen besucht. Das Ganze sei im Rahmen der "sogenannten militärischen Ausbildungshilfe" erfolgt. Es handele sich dabei um ein Instrument "präventiver Sicherheitspolitik". In Deutschland würden die Teilnehmer dann "demokratische Werte" kennenlernen und diese "physisch auch erfahren". So bizarr die Worte anmuten mögen, Mali weiß schon längst, was unter der Vermittlung "demokratischer Werte" zu verstehen ist.
Randnotiz: Im März 2021 erschien beim George C. Mashall European Center for Security Studies (A German-American Partnership) eine Analyse mit einem Titel, der der transatlantischen Gemeinschaft alles andere als gut zu Gesicht steht: "Russland und Afrika: Wachsende Einflussnahme und Instabilität".
Währenddessen gibt sich Frankreich aufgrund der Machtübernahme Goïtas empört. So erklärte das französische Verteidigungsministerium vor wenigen Tagen, dass man vorsorglich und vorübergehend gemeinsame militärische Operationen mit den malischen Streitkräften aussetzen werde. Längst in Vergessenheit geraten und ungesühnt ist derweil der französische Luftangriff, bei dem etwa 20 Teilnehmern einer Hochzeit im malischen Bounti den Tod fanden. Trotzdem mag Frankreich offensichtlich nicht verstehen, warum ein großer Teil der malischen Bevölkerung sie nicht in ihrem Land haben will.
Die internationale Ausgabe des Spiegel weiß zu berichten:
"Mali ist für Frankreich das, was Afghanistan für die USA ist – ein scheinbar endloser Krieg, der schwer zu gewinnen ist und der immer wieder unschuldige Opfer fordert."
Und ebenso wie die US-Amerikaner hat auch das französische Militär auch immer mal wieder vermeintliche Erfolge vorzuweisen, wenn etwa stolz der Tod des einen oder anderen Top-Dschihadisten vermeldet wird. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass man auf verlorenem Posten kämpft, da es sich bei den Werten, für die man zu kämpfen vorgibt, nur um eine Schimäre handelt.
In diesem Zusammenhang hatte mutmaßlich auch das westafrikanische Nigeria zuletzt allen Grund zur Freude. Auch dieses potenziell enorm reiche afrikanische Land wird durch Terrorismus an einer selbstständigen und kontinuierlichen Entwicklung gehindert. Vor allem die ominöse Terrortruppe Boko Haram galt bis dato als bleierner Klotz am Bein Nigerias.
Doch dann ereilte Nigeria und die weltweite Öffentlichkeit vor wenigen Tagen die Nachricht, wonach der Kopf von Boko Haram, Abubakar Shekau, tod sei. Wie andere Top-Terroristen auch, wurde auch Shekau in den vergangenen Jahren immer wieder für tot erklärt, doch diesmal soll es tatsächlich stimmen. Der Terrorfürst habe sich demzufolge in einem Wald selbst in die Luft gesprengt, während ihm Kämpfer rivalisierender Extremisten auf den Fersen gewesen seine. Dies soll eine Audiobotschaft bestätigen - veröffentlicht vom Islamischen Staat in der westafrikanische Provinz (ISWAP).
Wie ein Virus breitet sich der "islamistische Terror" in Afrika aus und hat schon längst auch Westafrika erreicht. Auch für Nigeria sind das alles andere als gute Nachrichten. Erst wenn nicht mehr vorgegeben wird, das Problem vor allem auch militärisch lösen zu wollen, wird sich die Situation wieder bessern können. Mit Öl wurde noch kein Feuer gelöscht.
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