Weniger als drei Jahre ist es her, dass der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali sein Amt antrat. Im Jahr 2019 erhielt er den Friedensnobelpreis für seinen Beitrag zum historischen Friedensschluss mit dem kleinen Nachbarstaat Eritrea (dem die Regionalregierung von Tigray in der ausgehandelten Form allerdings nicht zustimmte). Beherzte Reformen rundeten das Bild eines anpackenden Premiers international ab. Zuversicht breitete sich auch wieder zunehmend im Land selbst aus.
Am strategisch wichtigen Golf von Aden hat sich – nach China, den USA, Frankreich und selbst Taiwan – gerade auch Russland einen Militärstützpunkt gesichert, und sie alle buhlen um Einfluss. Die US-Armee führt seit Jahren einen offensichtlich erfolglosen "Krieg gegen den Terror" im benachbarten Somalia.
Nun findet sich Äthiopien am Rand eines Bürgerkriegs wieder. Die Möglichkeit eines massiven internen Konfliktes stellt nicht nur die Einheit der zweitbevölkerungsreichsten Nation Afrikas infrage. Sie bedroht auch jede Möglichkeit, dass die Region am Horn von Afrika und am Roten Meer nach Jahrzehnten zyklischer Konflikte nun in Richtung Stabilität und Integration voranschreitet.
Am Dienstag war ein dreitätiges Ultimatum zur Niederlegung der Waffen ergebnislos abgelaufen. Für diesen Fall hatte der äthiopische Regierungschef Abiy Ahmed eine Militäroffensive gegen die lokale Regierung der Region Tigray angekündigt.
Nach Ablauf dieser Frist wird der letzte wesentliche Akt der Strafverfolgung in den kommenden Tagen durchgeführt", erklärte Abiy Ahmed Ali auf Facebook.
In der Region Tigray, im nordöstlichen Hochland des Landes gelegen, leben etwa sieben Millionen der 110 Millionen Einwohner Äthiopiens.
Nun lässt er seinen Worten Taten folgen, und äthiopische Streitkräfte rücken – Verlautbarungen der Regierung zufolge – im Konflikt um Tigray auf die Hauptstadt der Region vor.
Die Kräfte der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) hätten jedoch auf dem Weg der Streitkräfte nach Mek'ele, der Hauptstadt der Region, Brücken abgebaut und Straßen zerstört, hieß es in der Nacht zum Mittwoch in einer Mitteilung der Notstands-Taskforce, welche die äthiopische Regierung nach dem Ausbruch des Konflikts gebildet hatte. Über die Lage vor Ort in der nördlichen Region Tigray blieb weiterhin wenig bekannt, da Internet, Telefonverbindungen und elektrische Energieversorgung nach wie vor gekappt sind.
Nach Angaben der Regionalregierung von Tigray seien 100.000 Zivilisten auf der Flucht. Am Montag war von Luftangriffen der äthiopischen Luftwaffe auf Mek'ele berichtet worden. Hunderte Menschen sind demzufolge seit Beginn der militärischen Konfrontation am 4. November bereits getötet worden.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk teilte am Dienstag mit, dass bereits mehr als 27.000 Menschen in das Nachbarland Sudan geflüchtet seien. Täglich kämen etwa 4.000 weitere Flüchtlinge hinzu, so meldet das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) am Mittwoch in einer Erklärung. Hilfsorganisationen bereiteten sich auf schätzungsweise knapp zwei Millionen Hilfsbedürftige in den betroffenen Regionen vor, was allein für die Zeit zwischen November und Januar einem Finanzbedarf von mindestens 75,6 Millionen Dollar entspreche.
Es besteht das Risiko, dass die Situation völlig außer Kontrolle gerät und zu vielen Toten, schweren Zerstörungen sowie Fluchtbewegungen innerhalb Äthiopiens wie auch über die Grenzen führt", warnte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet.
Die TPLF war die dominante Partei in jener Parteienkoalition, die Äthiopien mehr als 25 Jahre lang mit harter Hand regierte. Als Regierungschef Abiy Ahmed im Jahre 2018 in Äthiopien an die Macht kam, entfernte er Funktionäre der alten Garde aus Ämtern und gründete eine neue Partei, mit der die TPLF nicht koalierte. Die TPLF und viele der Bewohner von Tigray fühlen sich durch die Zentralregierung nicht vertreten und wünschen sich größere Autonomie.
Allerdings könnte sich die militärische Eskalation des Konflikts aufgrund der militärischen Geschichte, der organisatorischen Fähigkeiten und der Schlagkraft der TPLF für Addis Abeba als ein Bumerang erweisen. Mehr als die Hälfte der äthiopischen Streitkräfte und der äthiopischen Rüstungsgüter sind in Tigray, wobei sich ein Großteil der militärischen Ausrüstung des Landes sogar in den Händen der TPLF befindet. Selbst wenn Premierminister Abiy Ahmed zunächst als Sieger aus der militärischen Zuspitzung hervorgehen sollte, wäre es für ihn weitaus schwieriger, einen womöglich langwierigen und verlustreichen Krieg oder gar die Unterstützung der Mehrheit der Tigrayer zu gewinnen.
In diesem Zusammenhang erhöht die äthiopische Regierung nun auch den wirtschaftlichen Druck auf die TPLF. So teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Addis Abeba mit, dass die Bankkonten von 34 Tochtergesellschaften des Endowment Fund for the Rehabilitation of Tigray eingefroren worden seien. Die entsprechenden Gelder werden von der TPLF verwaltet.
Die Behörden sahen sich nach offiziellen Angaben zum Handeln gezwungen, da die Unternehmen angeblich "an der Finanzierung von ethnisch motivierter Gewalt, Terrorakten beteiligt seien und in Verbindung mit der TPLF stünden, die die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen versucht", erklärte die Staatsanwaltschaft in einer Erklärung.
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