Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali erklärte am Freitag, die im Norden Äthiopiens in der Region Tigray begonnene militärische Operation habe begrenzte Ziele. Sonst bestehe die Gefahr, in einen Krieg hineinzuschlittern.
Die Operationen der föderalen Verteidigungskräfte im Norden Äthiopiens haben klare, begrenzte und erreichbare Ziele – um die Rechtstaatlichkeit und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen und das Recht der Äthiopier auf ein freidvolles Leben zu schützen, wo immer sie auch in dem Land sind," schrieb Abiy auf Twitter.
Was war passiert?
Die äthiopischen Streitkräfte wurden laut dpa am 4. November von der Volksbefreiungsfront von Tigray (Tigray People's Liberation Front TPLF) angegriffen. Der bewaffneten Auseinandersetzung waren monatelange Spannungen zwischen Addis Abeba und unter anderem der TPLF vorausgegangen. Diese hatte Äthiopien 30 Jahre lang regiert, bevor der amtierende Premier Abiy 2018 an die Macht kam.
Abiy gewann 2019 sogar den Friedensnobelpreis, weil er dem Jahrzehnte andauernden Krieg zwischen seinem Land und Eritrea beendet hatte. Doch war Abiy nicht in der Lage, die Konflikte innerhalb Äthiopiens zu befrieden.
Blutige Angriffe in Oromia
Da internationale Rufe nach Dialog und Annäherung lauter wurden, arbeitete Abiy daran, die kriegerische Rhetorik herunterzufahren und die TPLF in die Regierung zu integrieren, also die regierende Partei in der Region Tigray, ebenso wie die Oromo Liberation Front (OLF), die Partei, die in der Region Oromia die Macht innehat. Ministerpräsident Abiy schloss so im Zuge von Reformen Frieden mit mehreren bewaffneten Gruppen.
Die OLF war eine Widerstandsgruppe, die jahrelang gegen die nationale Regierung und nach eigenen Angaben für die Rechte der Oromo kämpfte. Die Oromo sind die größte Bevölkerungsgruppe in Äthiopien, fühlten sich aber lange von der nationalen Regierung marginalisiert. Die Oromo Liberation Army (OLA), die ehemals Teil der OLF war, kämpft weiter gegen die Regierung. Zwischen den Oromo und den Amharen, der zweitgrößten Bevölkerungsgruppe in Äthiopien, bestehen oft Spannungen.
Am 1. November machten "brutale Terrorangriffe" in Oromia Schlagzeilen. Es handelt sich um die größte Region Äthiopiens, die sich vom westlichsten Punkt an der Grenze zum Südsudan nach Osten erstreckt, wobei der östlichste Punkt fast die somalische Grenze berührt. Im Süden reicht sie an die Grenze Kenias. Es war von "Massentötungen" die Rede, Amnesty International sprach von mindestens 54 Getöteten.
Vertreter der regierenden Prosperity Party in der Region Amhara sagten, Mitglieder der Bevölkerungsgruppe der Amharen seien Ziel des Angriffs gewesen.
Die Regionalregierung von Oromia machte die OLA für den Angriff verantwortlich.
Zusammenstöße in der Region Tigray
Nach dem Angriff einer politischen Gruppe auf Streitkräfte im Norden Äthiopiens fühlt sich die Regierung nach eigenen Angaben zu einer "militärischen Konfrontation gezwungen".
Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig, das Feuer eröffnet zu haben. Aus der Führung der TPLF hieß es, Kampfjets hätten Teile der Hauptstadt Tigrays bombardiert. Das äthiopische Militär soll Truppen aus dem gesamten Land nach Tigray verlegt haben.
Die Auseinandersetzung dann einer Konfrontation zweier Staaten gleichen, da auch Tigray eine große, gut ausgebildete Armee und jahrelange Erfahrung nicht nur im bewaffneten Widerstand hat. Der Grenzkonflikt mit Eritrea fand praktisch Tür an Tür mit Tigray statt. Die International Crisis Group schätzt die Anzahl der paramilitärischen Kräfte und Milizen auf 250.000.
Andererseits ist Äthiopien eines der Länder mit der am besten ausgerüsteten Armee in Afrika.
Nachdem die Regierungskoalition 2018 Abiy zum Ministerpräsidenten ernannt hatte, versuchte er, die Monate andauernden Proteste gegen die Regierung einzudämmen. Er öffnete den politischen Raum und nahm repressive Maßnahmen zurück. Im Land leben 112 Millionen Einwohner. Es gibt eine große ethnische Vielfalt.
Aber nach der langen Herrschaftszeit fühlte sich die TPLF zunehmend marginalisiert und zog sich letztes Jahr aus der Regierungskoalition zurück. Sie prangerte die Verzögerung der Wahlen an, die die Regierung auf die COVID-19-Pandemie zurückführte.
Im September dieses Jahres hielt die Region Tigray lokale Wahlen ab, die die föderale Regierung Äthiopiens nicht anerkannte. Die Regierung verlagerte Gelder, die an die regionale TPLF-Regierung gehen sollten, auf die lokalen Verwaltungen. Das ärgerte die TPLF natürlich sehr. Am Montag dieser Woche kündigte der Regierungschef von Tigray Debretsion Gebremichael an, es könnte bald ein blutiger Konflikt ausbrechen.
Zwei Tage später fanden die Angriffe statt – mit Opfern auf beiden Seiten.
Ministerpräsident Abiy erklärte auf Twitter:
Sie föderale Regierung versuchte mehrere Monate lang, die Differenzen mit der TPLF friedlich zu lösen; wir versuchten es mit Mediation, Versöhnung und Dialog. All dies scheiterte wegen der kriminellen Hybris und Kompromisslosigkeit der TPLF. Mit dem Angriff auf das Nordkommando, das in Tigray stationiert ist, ist das Maß voll.
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