von Kani Tuyala
Krisen so heißt es, fördern das Beste und das Schlechteste im Menschen zutage. Manchmal legen sie aber auch nur schlicht die ohnehin vorhandenen Abgründe der globalen Machtstruktur und das ihr zugrundeliegende Denken offen. Die Corona-Krise macht da keine Ausnahme.
Es waren auch immer sogenannte Forscher, die durch vermeintliche wissenschaftliche Erkenntnisse das etwa 500-jährige Narrativ vom "schwarzen Kontinent" legitimierten – und damit den Boden bereiteten für die bis heute existente "Weltordnung". Auch Versuche am Menschen zum vermeintlichen Wohle der Wissenschaft waren und sind bis heute keine Seltenheit.
In diese Tradition der wissenschaftlichen Hybris können ohne Weiteres die französischen Ärzte beziehungsweise Forscher Jean-Paul Mira, Leiter der Intensivstation des Krankenhauses Cochin in Paris, und der Impfstoffforscher Camille Locht eingeordnet werden.
In einer Sondersendung zum Coronavirus sprach Mira live beim französischen Sender LCI mit Locht, seines Zeichens Forschungsdirektor am nationalen französischen Gesundheitsinstitut Inserm, das unter anderem nach einem Impfstoff gegen COVID-19 forscht.
Während des Gesprächs der beiden Persönlichkeiten wendet sich der Gott in Weiß, Mira, hochwissenschaftlich an seinen Experten-Kollegen.
Die beiden Herren behandelten Fragen zum BCG-Tuberkulose-Impfstoff, der in mehreren EU-Staaten und Australien gegen COVID-19, die durch das neue Coronavirus verursachte Atemwegserkrankung, erprobt wird. Doch warum die "eigene" westliche Bevölkerung als Versuchskaninchen heranziehen, wenn es andere "Testlabore" gibt?
Ob es nicht am schlauesten sei, Studien zur Entwicklung eines Impfstoffs in Afrika durchzuführen, "wo es keine (Schutz-)Masken, keine Behandlungsmöglichkeiten und keine Intensivmedizin gibt", will Mira von seinem Kollegen Locht wissen.
Wie um seinen Ansatz zu untermauern, ergänzt der Chefarzt:
So wie es übrigens ja auch bei einigen Studien zu Aids gemacht wurde. Bei Prostituierten kann man experimentieren, weil man weiß, dass sie besonders exponiert sind und sich nicht schützen.
Locht zögert mit seiner Antwort nicht lange.
Sie haben Recht. Und übrigens denken wir parallel selbst (bereits) an eine Studie in Afrika, die denselben Ansatz verfolgt.
Dennoch will sich Locht in seinem wissenschaftlichen Eifer nicht unbedingt auf "Afrika" beschränken müssen.
Das heißt aber nicht, dass wir parallel dazu nicht auch auch über eine Studie in Europa und in Australien nachdenken (sollten).
Es dauert nicht lange, bis das Gespräch aus dem Elfenbeinturm des wissenschaftlichen Fortschritts für massive Kritik in den sozialen Medien sorgte.
"Es ist unglaublich, dass wir immer wieder darauf hinweisen müssen. Afrika ist kein Testlabor", ließ etwa der ehemalige Fußballstar der Elfenbeinküste, Didier Drogba, auf Twitter wissen.
Ich verurteile diese erniedrigenden, falschen und vor allem zutiefst rassistischen Worte zutiefst", so Drogba
Auch bei Fußballlegende Samuel Eto'o fanden die Gedankengänge der beiden Wissenschaftler wenig anklang.
Afrika ist nicht eure Spielwiese!", erklärte ein erboster Eto'o auf Instagram.
Ein marokkanisches Anwaltskollektiv erklärte, es werde Mira wegen rassistischer Verleumdung verklagen.
Ich möchte diese erniedrigenden, falschen und vor allem zutiefst rassistischen Worte anprangern: "Ich möchte mich bei all denen entschuldigen, die durch die Bemerkungen, die ich diese Woche ungeschickterweise über LCI geäußert habe, verletzt, schockiert und beleidigt wurden.
Olivier Faure von der Sozialistischen Partei Frankreichs gab zu bedenken, angesichts der gemachten Äußerungen von Provokationen zu sprechen.
Es ist keine Provokation, es ist nur Rassismus. Afrika ist nicht das Laboratorium Europas. Afrikaner sind keine Ratten!", erklärte er auf Twitter.
Laut einer Erklärung von Lochets Arbeitgeber Inserm seien die gefallenen Äußerungen jedoch aus dem Zusammenhang gerissen worden.
Ein verzerrendes Video, das aus einem Interview auf LCI mit einem unserer Forscher über eine Studie über die mögliche Verwendung des BCG-Impfstoffs gegen COVID-19 stammt, ist nun Gegenstand einer falschen Interpretation", wusste Interim zur Angelegenheit zu sagen, ohne zu erläutern, worin die Fehlinterpretation gelegen habe.
Ohnehin sei es darum gegangen, dass Afrika "nicht vergessen oder von dieser Forschung ausgeschlossen werden sollte, weil die Pandemie global ist".
Wieder mal soll es vermeintlich darum gehen, zu "helfen". Bei vielen Bewohnern des europäischen Nachbarkontinents wecken derlei Äußerungen allerdings kollektive Erinnerungen an einen ganz anderen "Virus", der den Globus und auch Afrika heimsuchte – den Kolonialismus.
Selbst als (Kolonial-)Beamte ihre wohlwollenden Ambitionen im kolonialen Afrika propagierten, waren sie gezwungen, sich mit Krankheiten und Gebrechen auseinanderzusetzen, die sie versehentlich selbst verursacht oder verschlimmert hatten, wodurch sie die Bemühungen um den Staatsaufbau behinderten und ihre Behauptungen, der Bevölkerung zu helfen, widerlegten", heißt es in diesem Kontext im AMA Journal of Ethics.
Noch 1955 wies ein leitender britischer Arzt an der Universität Oxford, Honor Smith, demnach mit Begeisterung auf die Eignung Afrikas als gigantisches Testlabor hin:
[Es ist] das fast unbegrenzte Feld, das Afrika für die klinische Forschung bietet, das ich so spannend finde (...) Probleme von höchstem Interesse sind im Überfluss vorhanden, (und) das klinische Material ist unbegrenzt.
Angesichts des Protests, den das Gespräch der beiden französischen Wissenschaftler nun hervorrief, entschuldigte sich Mira in einer von dessen Arbeitgeber veröffentlichten Erklärung.
Ich möchte alle meine Entschuldigungen an diejenigen richten, die durch die Bemerkungen, die ich diese Woche ungeschickterweise bei LCI geäußert habe, verletzt, schockiert und gekränkt waren", gab er zu Protokoll.
In einem Interview mit der Huffington Post erläuterte Mira seine demnach humanitären Hintergedanken:
Afrika könnte noch mehr ernsthaften Formen des Schadens ausgesetzt sein, weil es aufgrund der sozialen Struktur so wenige Masken und so wenig Eingrenzung geben wird.
Das Afrika jedoch kein Land ist, führte demnach auch den französischen Mediziner an seine Grenzen.
Es erschien mir [während der TV-Sendung, Anm. d. Red.] interessant, dass neben Frankreich und Australien auch ein afrikanisches Land an dieser Studie teilnehmen könnte, von dem ich vor der Sendung noch nie zuvor gehört hatte", fügte Mira hinzu.
Die Wissenschaftlerin, die den Videomitschnitt veröffentlichte, kommentierte ihn demnach mit einem Verweis auf die koloniale Vergangenheit Frankreichs:
Es ist das Jahr 2020 in Frankreich, und wir betrachten immer noch Menschen aus Afrika als Versuchskaninchen.
Afrika ist derzeit der am wenigsten von COVID-19 betroffene Kontinent mit knapp 7.500 Corona-Infizierten und etwa 320 Todesfällen. Demzufolge sei die erstaunlich geringe Fallzahl vor allem auf fehlende Tests zurückzuführen.
Derweil bezogen auch Vertreter der "afrikanischen" Zivilgesellschaft Stellung zu den Äußerungen von Mira und Locht. Nach Ansicht des ghanaischen Schriftstellers, Autoren und Kolumnisten Scofray Nana Yaw Yeboah seien "Experten auf der ganzen Welt immer noch erstaunt darüber, warum Afrika durch die COVID-19-Pandemie nicht in die Knie gezwungen" worden sei.
Sagen wir nein zu dem Versuch einer Form der Achse des Bösen, die in diesem Moment Afrikaner als Versuchskaninchen benutzen will", fordert Yeboah.
Mehr zum Thema - Die neue "Afrikapolitik" der Bundesregierung: Ein bunter Strauß aus Plastikblumen
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.