Wer hat uns verraten? - SPD-Gesetz zur "Tarifeinheit" beschlossen
Heute hat die Bundesregierung die umstrittene gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit bewilligt. Der Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wurde wie erwartet durchgewunken. Der DGB-Vorstand freut sich, kleinere Gewerkschaften befürchten Einschränkungen im Streikrecht. Rechtsexperten bewerten den Gesetzentwurf als "verfassungswidrig".
Mit diesem Gesetz sollen in Zukunft Arbeitskämpfe konkurrierender Gewerkschaften im selben Betrieb, wie jüngst bei der Deutschen Bahn und Lufthansa, verhindert werden. Im Widerspruch zu den sonst hochgelobten Mechanismen der freien Marktwirtschaft wird nun per Gesetz geregelt, dass nur der Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft im Betrieb gilt. Wettbewerb ist bei der Vertretung von Arbeitnehmerrechten scheinbar unerwünscht. Ganz im Sinne des neoliberalen Mantras "De-unionize" (Schaffe die Gewerkschaften ab). In Deutschland ist die Gründung von Gewerkschaften festgeschrieben im Grundgesetz:
GG Artikel 9 Abs.(3): Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.
Die Tarifeinheit war im Juli 2010 vom Bundesarbeitsgericht aufgehoben wurden. Dadurch konnte es zur "Tarifkollision" kommen, wenn für dieselbe Gruppe von Beschäftigten unterschiedliche Tarifverträge von verschiedenen Gewerkschaften ausgehandelt wurden.
Das neue Gesetz soll zur Anwendung kommen, wenn zwei Gewerkschaften im gleichen Betrieb dieselben Arbeitnehmergruppen vertreten und verschiedene tarifliche Regelungen aushandeln wollen. Die daraus entstehenden Tarifkollisionen sollen durch das neue Gesetz aufgelöst werden. Minderheitsgewerkschaften sollen mittels Verfahrensregeln und Anhörungsrechte geschützt werden.
Bittere Pille
Für die kleinen Gewerkschaften hat sich die Bundesregierung eine Zuckerglasur für die bittere Pille ausgedacht, "Verfahrensregelungen zum Schutz kleiner Gewerkschaften" genannt.
Inwieweit ein "vorgelagertes Anhörungsrecht gegenüber der Arbeitgeberseite sowie ein nachgelagertes Nachzeichnungsrecht" den kleinen Gewerkschaften nützen, steht auf einem anderen Blatt. Nicht ohne Grund hatten sich Ver.di, NGG und GEW gegen den Gesetzesentwurf ausgesprochen. Sie sind für die Tarifeinheit, aber gegen einen Eingriff ins Streikrecht, den sie im Gesetz versteckt sehen. In ihrem gemeinsamen Aufruf mit Unterschriftenaktion argumentieren sie:
"Tarifeinheit begrenzt die Konkurrenz, sichert die Durchsetzungsfähigkeit der Belegschaften und fördert die Akzeptanz der Tarifautonomie. Der von der Bundesregierung vorgelegte Referentenentwurf wird diesen Grundsätzen nicht gerecht, da er bei einer Kollision mehrerer Tarifverträge vorsieht, nur den Tarifvertrag der Mehrheit gelten zu lassen. Die anderen sind tariflos und ihr Streikrecht steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. Dies ist unzweifelhaft auch eine indirekte Einschränkung des Streikrechts."
Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles (SPD), ist Mitglied unter anderem in der "kfd" (Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands), IG Metall (Industriegewerkschaft Metall), Arbeiterwohlfahrt und bei der NGO attac. Seit genau einem Jahr ist sie Bundesministerin für Arbeit und Soziales und mit dem Gesetzentwurf mehr als zufrieden:
"Eine starke Sozialpartnerschaft braucht eine starke Arbeitnehmerinteressenvertretung. […] [Mit dem Gesetz] stärken wir das Mehrheitsprinzip. Mit dem Gesetz zur Tarifeinheit wollen wir die Kooperation und gütliche Einigung bei Tarifkollisionen fördern. Kleinere Gewerkschaften werden dabei wirksam geschützt."
Sozialpartnerschaft - diese wohlklingende Formulierung für die "Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern," wie es der Duden definiert. Wäre diese Partnerschaft auf Augenhöhe, bräuchte man Gewerkschaften aber auch nicht.
Ein bisschen Sozialromantik
In einer idealen Welt bräuchte man keine Gewerkschaften, weil Unternehmer einfach gute Bedingungen für die Menschen bieten, die für sie arbeiten, also Leistung erbringen, indem sie Kraft und Lebenszeit geben. Faire Löhne, faire Arbeitszeiten, gemeinsames Aushandeln von Urlaubszeiten und Freistellungen – das nützt beiden Seiten. Denn wer seine Arbeiter fair behandelt, kann sich auch langfristig auf sie verlassen. Das funktioniert nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Politik. Aber das ist eine andere Geschichte…
Der neoliberale Traum von der Abschaffung von Gewerkschaften zur Profitmaximierung durch ungehinderte Ausbeutung, könnte nun eine Schlacht gewonnen haben. So langsam und mühsam sich Gewerkschaften ab 1848 ins öffentliche Leben gekämpft haben, so langsam und trickreich versucht die Gegenseite sie zu untergraben und bestmöglich abzuschaffen. In einigen Ländern gibt es schon Consultingfirmen, die sich darauf spezialisieren, Unternehmen im Kampf mit und gegen Gewerkschaften zu beraten, vermutlich für entsprechend hohe Honorare, die langfristig gegen die eingesparten Lohnkosten aufgerechnet werden, vielleicht sogar steuerfrei?
Und während die GdL der Deutschen Bahn eine weitere Bedenkzeit bis zum 17. Dezember 2014 gibt, um ihnen "ein erheblich verbessertes Angebot zu unterbreiten," berichtet die Junge Welt, dass die Deutsche Bahn Arbeitsplätzen ins Ausland verlegen möchte bzw. es schon schrittweise tut. In Polen sind die Lohnkosten für die Instandhaltung einfach günstiger. Tja, und die Gewerkschaften sind dort auch wesentlich schwächer.
Wer hat uns (mal wieder) verraten?