Mediale und politische Hetzjagd auf die Gewerkschaft der Lokführer
Der mediale und politische Mainstream wettert gegen die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) und ihren Chef, wie zuvor nur gegen Putin in der Ukraine-Krise. Doch die GdL führt einen Arbeitskampf für die Mehrheit der deutschen Arbeitnehmer.
von Florian Warweg
Ein Lokführer mit mehr als 25 Jahren Berufserfahrung erhält laut Tarifvertrag 3010,00 Euro Brutto. Das ergibt Netto zwischen 2.200 und 1.950 Euro für einen jahrzehntelangen Knochenjob mit Schicht- und Wochenenddienst und die Verantwortung für das Leben von hunderten Menschen. Damit verdienen sie im „Hochlohnland Deutschland“ signifikant weniger als Lokführer in Frankreich, Italien oder Spanien.
Und was machen die deutsche Politik und die deutschen Medien? Statt die gerechtfertigten Lohnforderungen der Gewerkschaft anzuerkennen, überbieten sie sich gegenseitig mit Schmähungen gegen die GdL und vor allem ihren Chef Claus Weselskys.
So titelte die FAZ über den GdL-Chef, inspiriert von einem wohlbekannten Spiegel-Cover: „Stoppt diesen Mann!“ Der Spiegel fragt, wer Weselsky „bändigen“ soll und die Süddeutsche twittert:
Die GDL ist auf Amokfahrt.
Einen Schritt weiter gehen das Nachrichtenmagazin Fokus und die Bild-Zeitung. Fokus veröffentlichte ein Foto des Hauses und des Klingelschildes „des meistgehassten Deutschen“. Die Bild-Zeitung fordert die Leser auf, dem Gewerkschaftsführer die Meinung zu „geigen“ und veröffentlicht seine Telefonnummer. Zumindest auf den direkten Aufruf zur Lynchjustiz haben beide Blätter pietätvoll verzichtet.
Die Angriffe kommen gerade von den Zeitungen, die in einer bisher einzigartigen Sonderregelung einen "Rabatt" zum sowieso unzureichenden gesetzlichen Mindestlohn mit der Bundesregierung ausgehandelt hatten. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zufolge bekommen Zeitungen dadurch etwa 60 Prozent ihrer Mehrkosten erstattet.
Es ist also wiederum die Ministerin und deren Partei, die im Falle der GdL das Streikrecht einschränken wollen und somit, wie die Nachdenkseiten treffend schrieben, „wirklich den Noske, also den Bluthund für die Interessen der herrschenden Eliten, machen“.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verkündete auch gleich in populistischer Manier: "Die GDL nervt ganz Deutschland." Oppermann ist also genervt von einem Arbeitskampf für bessere Entlohnung. Viel eindrücklicher kann die SPD eigentlich nicht mehr kommunizieren, dass sie ihren Anspruch auf das „S“ im Parteinamen längst aufgegeben hat.
Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit folgte seinen Genossen konsequent und verkündete völlig ironiefrei, ihm fehle jedes Verständnis dafür, dass die GDL ausgerechnet zum 25. Jahrestag des Mauerfalls von ihrem Streikrecht Gebrauch macht. Klar, die Ostdeutschen sind ja auch damals für D-Mark und Bananen auf die Straßen gegangen und nicht etwa für Grundrechte wie das Streikrecht.
Die GdL erscheint derzeit als eine der wenigen Gewerkschaften, die sich nicht vom politischen Establishment vereinnahmen lassen. In einer Zeit, in der de facto alle wichtigen politischen Entscheidungen von einer Großen Koalition aus SPD und CDU getroffen werden, die demokratisch kaum kontrolliert werden kann, kommt somit der GdL eine wichtige Rolle zu. Denn es geht bei diesem Arbeitskampf nicht um Einzelinteressen einer „Mini-Gewerkschaft“, sondern um die Frage, ob Gewerkschaften, wie die Deutschen Wirtschafts Nachrichten schreiben, „zu politischen Marionetten degradiert werden sollen“.
Oder, um GDL-Chef Weselsky zu zitieren: „Dieses Grundrecht [Tarifverträge für alle Mitglieder auszuhandeln] ist in Gefahr und damit die Funktion von Gewerkschaften an sich.“
Die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) ist übrigens die älteste Gewerkschaft in Deutschland. Sie wurde 1919 gegründet, da die Verfassung der Weimarer Republik auch den Beamten die Koalitionsfreiheit und damit das Streikrecht eingeräumt hatte. Eine der ersten Maßnahmen, nachdem 1933 die Nationalsozialisten die Macht ergriffen hatten, war die Zerschlagung der freien Gewerkschaftsbewegung. Apropos Geschichtsbewusstsein.