Kerry lobt "signifikante Reformen" im autoritär regierten Ägypten
"Westliche Werte" zu verstehen, ist oft nicht einfach, da sie trotz ihrer Universalität mancherorts halt doch universeller sind als an anderen. Aber wer den Dreh mal heraus hat, kann sich darüber freuen, dass er als offizielles Mitglied des Klubs der immer Guten einen Freifahrschein für so einige Eigenheiten hat.
Der ägyptische Ex-General und nunmehrige Präsident Abdel Fattah al-Sisi scheint jedenfalls begriffen zu haben, wie man sich im richtigen Augenblick als guter westlicher Demokrat inszeniert und auf diese Weise selbst so unbestechliche Persönlichkeiten wie US-Außenminister John Kerry dazu bewegen kann, voll des Lobes über die Errungenschaften des eigenen Landes zu sein und das Drängen auf Reformen weitgehend auf bekannte Defizite im ökonomischen Bereich zu beschränken.
2012 wurde, nachdem die ersten Wirren des "arabischen Frühlings" sich gelegt hatten, der den Muslimbrüdern nahe stehende Mohammed Mursi zum Präsidenten gewählt, seine Partei gewann auch die Parlamentswahlen. Ihre Regierungszeit wurde dem Mythos aus 85 Jahren Widerstand nicht gerecht, sie agierte unentschlossen und ging ihren ideologischen Vorlieben nach, statt den Ausgleich zu suchen. Übermäßige Härte legte sie aber nicht an den Tag, und so hatten ihre Gegner es leicht, die Straße gegen sie zu mobilisieren.
Im Juli 2013 setzte al-Sisi dann den gewählten Präsidenten ab und ließ ihn und in weiterer Folge tausende seiner Anhänger inhaftieren. Ein Protestcamp auf dem Rabia-Platz wurde mit brutaler Gewalt aufgelöst, am Ende soll es eine vierstellige Zahl an Todesopfern gegeben haben. Die Muslimbruderschaft wurde zur Terrororganisation erklärt, hunderte Anhänger, darunter auch Frauen und Minderjährige, zum Tode verurteilt, mittlerweile sollen mehr als 20.000 politische Gefangene in Ägyptens Gefängnissen sitzen.
Dabei ist aus dem Kampf gegen die Muslimbrüder ein Rundumschlag gegen sämtliche Oppositionelle geworden – und mittlerweile findet sich selbst mancher Ultrasäkularist, der noch im Sommer des Vorjahres begeistert die Niederschlagung der Rabia-Proteste bejubelt hatte, als Zellennachbar der verhassten "Islamisten" wieder. Selbst der Council on Foreign Relations spricht von einer Repression gegen jene, "die sich ein offeneres Ägypten wünschen".
Al-Sisi versucht, die Fehler seiner Vorgänger schon im Vorfeld zu vermeiden und gar nicht erst Kompromissbereitschaft zu zeigen. Unter dem Dach der "Terrorismusbekämpfung" greifen Willkür, polizeiliche Repression und ein Spitzelwesen um sich, das sich insbesondere an den Universitäten breit macht, wo nach einer Verhaftungswelle, die insgesamt 1.000 Studenten betroffen hatte, eine private Schutztruppe nach potenziellen Unruheherden Ausschau hält. Ein gewähltes Parlament existiert im Ägypten nach dem Putsch von 2013 übrigens bis heute noch nicht.
Kerry ficht das hingegen wenig an: Bei einer Pressekonferenz in Kairo anlässlich der Geberkonferenz für Gaza ließ es sich der Außenminister nicht nehmen, den Herrscher in Kairo der "starken Unterstützung" seitens der USA bei den "signifikanten Reformen" zu versichern, die Ägypten unternehme.