Führt Flüchtlingskrise in Deutschland zu 180 Grad-Wende bei Syrien-Politik der Bundesregierung?
Deutschland könne die Flüchtlingsströme nicht mehr kontrollieren, teilte Innenminister Thomas de Maizière am Sonntag mit und befahl Kontrollen an den Binnengrenzen zu Österreich und Tschechien. Die Flüchtlingskrise scheint zudem zu einem geostrategischen Umdenken in der Bundesregierung zu führen. Am Samstag teilte Bundeskanzlerin Merkel mit, dass der Krieg in Syrien beendet werden muss und dies aber nur mit Hilfe Russlands gelingen könne. Mit dieser Aussage schert sie zumindest verbal aus der bisher etablierten Linie der US-Allianz gegen die Russische Föderation aus.
De Maizière betonte, dass eine Einreise nach Deutschland nur noch mit gültigen Reisedokumenten möglich sein solle. Das sei wichtig, damit Sicherheit und Ordnung gewährleistet werden könne. Der Innenminister forderte die EU-Mitgliedsstaaten auf, sich an das Dublin-Abkommen zu halten und Flüchtlinge aus Deutschland entsprechend einem Verteilungsschlüssel aufzunehmen – ungeachtet der Tatsache, dass Berlin durch die nicht abgestimmte Öffnung der Grenzen die EU-Staaten zuvor bereits wieder einmal unter politischen Druck gesetzt hat.
Der bayerische Staatsminister für Inneres, Joachim Herrmann, erläuterte, dass die Kontrollen zum Nachbarland unbefristet seien. Zeitgleich wolle die deutsche Regierung etwaigen Ausweichrouten nachgehen, die Flüchtlinge wählen könnten. Reagiert werde darauf mit entsprechend ausgeweiteten Grenzkontrollen. Ausführendes Organ werde laut Herrmann die Bundespolizei sein, die darauf achten werde, dass, "wer so aussieht, dass er durchgewunken werden kann", weiter problemlos passieren könne.
Die Bild-Zeitung schrieb, dass der Bund 21 Hundertschaften der Bereitschaftspolizei nach Bayern entsandt habe, um die örtliche Polizei bei Kontrollen zu unterstützen.
Unterdessen erklärte Milan Chovanec, Innenminister von Tschechien:
"Die tschechische Polizei verstärkt ihre Kontrollen an der Grenze zu Österreich."
Alle weiteren Schritte seien von der Reaktion der Flüchtlinge auf die neuen Grenzkontrollen abhängig, berichtete der Sender CT24 am Sonntag.
Die EU-Kommission verlautbarte eine Erklärung, die Deutschlands mittlerweile widersprüchliches Verhalten, Grenzkontrollen wieder einzuführen, unter Berufung auf "Ausnahmevorgehen in Krisensituationen" im Schengen-Abkommen verteidigte.
Vielmehr plädiere de Maizière in Gesprächen mit den EU-Innenministern am Montag dafür, die Errichtung von sogenannten Auffanglagern, die der deutsche Innenminister "Wartezonen" nannte, an den europäischen Außengrenzen durchzusetzen.
Zudem müsse die Ursache für die Flüchtlingswelle nach Europa angegangen werden. Der Syrien-Krieg müsse beendet werden. Die deutsche Bundeskanzlerin räumte am Samstag ein, dass das allerdings nur mit Hilfe Russlands gelingen könne und bricht damit im Falle Syriens aus der US-Allianz gegen Russland aus. Offenbar scheint die Beendigung des Bürgerkrieges erstmals auch im unmittelbaren Interesse Europas zu liegen und die Gesprächsbereitschaft mit der zuvor dämonisierten Russischen Föderation zu fördern.
Indes sieht die bayerische Hauptstadt München ihre Belastungsgrenze erreicht. Insgesamt nahm die Stadt seit Ende August 63.000 Flüchtlinge auf, allein am Samstag sollen 12.000 Personen in München gestrandet sein.
Über die sogeannte Balkanroute drängen immer mehr Flüchtlinge nach Westeuropa. In Ungarn registrierte die Polizei am Samstag mit 4.330 Neuankömmlingen einen Tagesrekord. An der österreichisch-ungarischen Grenze in Nickelsdorf trafen am Samstag 6.600 Flüchtlinge ein.
Vergangene Woche bei der Haushaltsdebatte in Berlin führte de Maizière noch an:
"Bitte leugnen wir nicht die großen Herausforderungen, die nach der freundlichen Aufnahme im Alltag von morgen und übermorgen anstehen, aber bitte erliegen wir auch nicht der Versuchung, das Problem so groß zu beschreiben, […] dass alle, die zuhören, schon den Mut verlieren, an Lösungen überhaupt erst zu arbeiten."