Medikamenten-Nothilfe für Griechenland: "Wir brauchen akut die Hilfe unserer deutschen und europäischen Freunde"

Während in Deutschland im Zusammenhang mit Griechenland meist über Zahlen und Kreditverträge debattiert wird, bleibt die menschliche Komponente des Dramas außer Acht. Besonders schlimm sind die Zustände im griechischen Gesundheitssystem. Der griechisch-stämmige Arzt Prof. Dr. Athanassios Giannis von der Universität Leipzig hat deshalb ein Hilfsprojekt gestartet. Im RT Deutsch-Interview erklärt der Mediziner, was hinter seiner Initiative steckt und berichtet von der humanitären Situation in Griechenland.
Die Schuldenfalle, in der sich Griechenland befindet, hat nicht nur eine exorbitante Jugendarbeitslosigkeit von rund 60 Prozent zur Folge, auch die Systeme der staatlichen Vorsorge brechen unter dem Austeritätsdiktat der Troika und der Euro-Gruppe zunehmend zusammen. Die Renten der Senioren, von denen meist deren ganze Familie leben muss, werden stetig gekürzt und der Öffentliche Dienst kommt zum Erliegen. Besonders hart treffen die gnadenlosen Sparvorgaben der Gläubiger das griechische Gesundheitssystem. Rund drei Millionen der elf Millionen Griechen haben keine Krankenversicherung. Ebenfalls dramatisch zeigt sich die Lage der 70.000 Flüchtlinge, die Griechenland erreicht haben und nun meist nicht einmal das Nötigste zum Überleben haben. Wer sich dennoch einen Arzt leisten kann, findet nicht unbedingt einen. Überall mangelt es an Stellen für Fachpersonal, Krankenhäuser müssen schließen, Medikamente, Verbandsmaterial und medizinisches Zubehör wird knapp. Die Zustände im griechischen Gesundheitssystem bezeugen das moralische und logistische Scheitern der Europäischen Union, sie treiben aber auch Menschen wie Prof. Dr. Athanassios Giannis an, die nicht aufgeben wollen, und Nothilfe leisten. Der Humanmediziner lebt seit den 1970er-Jahren in Deutschland und forscht heute an der Universität Leipzig in den Bereichen Organische Chemie, Biochemie und Medizinische Chemie. Aufgrund der katastrophalen Lage in Griechenland hat sich Giannis nun entschieden, ein Hilfsprojekt zu starten. Das Internetportal KenFM berichtet laufend von der Aktion und wirkt bei der Organisation unterstütztend mit. Zunächst geht es darum Geld zu sammeln, denn nur so können lebensnotwendige Medikamente und medizinisches Versorgungsmaterial für die notleidenden griechischen Krankenhäuser gekauft werden. Aber auch freiwillige Helfer aus Deutschland haben sich schon bei Giannis gemeldet, was diesen im Telefongespräch mit RT Deutsch sichtlich berührt. Die Freiwilligen unterstützen die Initiative bei der Verteilung der Medikamente vor Ort und bei der Organisation des Projektes. Während seines Sommerurlaubs will der Arzt dann selbst nach Griechenland fahren, um dort ehrenamtlich und auf eigene Kosten Kranke zu behandeln. Im Interview mit RT Deutsch beantwortet Prof. Dr. Giannis Fragen zu seinem Projekt und zur humanitären Lage in Griechenland: Herr Prof. Dr. Giannis, vielen Dank, dass sie sich trotz des enormen Arbeitsdrucks, unter dem Sie gerade stehen, Zeit nehmen konnten, um ein paar Fragen zu ihrer Initiative "Medikamenten-Nothilfe für Griechenland" zu beantworten. Zunächst zu den Zuständen im Land: Können Sie kurz aus ihrer Sicht beschreiben, wie die medizinische Versorgungslage in Griechenland derzeit ausschaut? Dazu erst einmal einige Fakten und Zahlen: Es gibt zur Zeit mehr als drei Millionen Griechen ohne Krankenversicherung, ohne Zugang zu medizinischen Leistungen und Medikamenten. 3,8 Millionen Griechen leben an der Armutsgrenze (430 € pro Monat), 2,5 Millionen unterhalb der Armutsgrenze (230€ pro Monat). Das bedeutet: Zirka 60 Prozent der griechischen Bevölkerung leben in Armut oder an der Grenze zur Armut. 10.000 Menschen haben in den vergangenen fünf Jahren Selbstmord begangen. Kinder hungern, 7 Prozent von diesen leben in Familien ohne Elektrizität (früher 3 Prozent). Eltern geben ihre Kinder an öffentliche Einrichtungen, damit diese Kinder überhaupt etwas zu Essen bekommen. Und wissen Sie, wo der Hunger zunächst zuschlägt? Er zerstört Teile des Gehirns mit absehbaren Folgen für die geistige Entwicklung dieser Kinder und hat gravierende Folgen für die betroffenen Familien und für die Gesellschaft im Allgemeinen. Die Krankenhäuser sind permanent unterbesetzt, es fehlen Ärzte und Krankenschwestern, während Medikamente und Verbandsmaterial Mangelware sind. Patienten müssen private Krankenschwestern engagieren, um in den Krankenhäusern überhaupt eine Grundversorgung zu haben. Hier springen sehr häufig Familienmitglieder ein. Im ganzen Land gibt es keinen funktionierenden Rettungsdienst, wie man das hier kennt und das hat häufig tragische Konsequenzen. Und noch etwas: Es wurden Fälle bekannt, bei denen neugeborene Kinder erst dann ihren Müttern nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gegeben wurden, wenn diese die Entbindungskosten begleichen. Es gibt auch wohl bekannte Fälle von Patienten, die kurz vor ihrer Operation aus den Operationsräumen von der Krankenhausverwaltung hinaus geschmissen wurden, da sie nicht versichert waren. Das ist der Stoff, aus dem ein Alptraum entsteht. Wer hätte so etwas im Europa der EU erwartet? Sie haben sich nun entschieden, selbst aktiv zu werden. Sie sind selbst habilitierter Humanmediziner, forschen an der Universität Leipzig und haben damit eine privilegierte gesellschaftliche Stellung. Sie könnten es sich auch in Deutschland gemütlich machen. Welche Rolle kommt, Ihrer Meinung nach, Menschen wie Ihnen zu, angesichts des Leides in Griechenland, das Sie beschreiben? Plakativ gesagt: Ich bin Arzt und Humanist, ein Fan von Hippokrates und ein Kind meiner humanistischen griechischen Tradition. Die griechische und die europäische Gesellschaft haben mir eine ausgezeichnete (Aus-)Bildung ermöglicht und mich oben drauf mit einem guten Gehalt belohnt: Es ist nun meine Pflicht, der Gesellschaft als Dank etwas zurück zu geben. Das tue ich nicht nur jetzt, sondern all die vergangenen Jahre schon. So hoffe ich, ein gutes Beispiel für die jungen Leute sein zu können. Nun sammeln sie Spenden und rufen auch in Deutschland dazu auf, ihre Initiative zu unterstützen. Können sie Förderern und Spendern kurz erklären, was mit ihrem Geld geschehen wird, welche Anschaffungen nötig sind und wie diese vor Ort verteilt werden? Geld ist bei drei Millionen nicht-versicherten Patienten und etlichen Tausenden Flüchtlingen ein wichtiges Gut. Benötigt werden außer Geld aber auch Sachspenden wie z.B. Medikamente, Verbandsmaterial, Spritzen, Injektionsnadeln, Handschuhe, Windeln, Desinfektionslösung, etc. Ich stehe jederzeit für Rückfragen zur Verfügung: giannis [ät] uni-leipzig.de oder athgianni [ät] gmail.com Adresse: Prof. Dr. Athanassios Giannis Institut für Organische Chemie Universität Leipzig Johannisallee 29 D-04103 Leipzig In Kürze wird auch eine Webseite zu dieser Aktion geben. Informationen und den Link finden Sie dann auf meiner Internetseite. Sie erwähnten im Vorgespräch, dass sich auch schon freiwillige Helfer bei Ihnen gemeldet haben. Ist auch weiterhin (Wo-)Manpower gefragt? Wie können Sie Menschen erreichen, die Sie mit Tatkraft unterstützen wollen? Wenn freiwillige Helfer (Studenten, insbesondere Medizinstudenten oder auch Ärzte) im Rahmen einer Wohltätigkeit und aus Philhellenismus etwas Gutes tun möchten, bitte schreiben Sie mich an, ich werde dabei behilflich sein. Ich würde mich sehr freuen. Zu guter Letzt: Eine Nothilfe kann nur die schlimmsten Mängel beheben. Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit Griechenland langfristig wieder auf die Beine kommt und dann auch wieder über ein Gesundheitssystem verfügt, das seinen Namen verdient? Hier einige Gedanken dazu: Wir brauchen akut die Hilfe unserer deutschen und europäischen Freunde, insbesondere um unsere politische Landschaft zu erneuern und unsere Gesellschaft gerechter zu machen. Das Griechen-Bashing soll endlich aufhören, die BLÖD-Zeitung und ihre Helfershelfer sollen schweigen oder mal inne halten. Genug ist genug. Hass bringt uns nicht weiter, es bindet und kanalisiert eine Menge Energie in die falsche Richtung. Die deutschen Politiker sollen aufhören von Grexit (Danke, Herr Dr. Schäuble) zu sprechen: Dieses Wort war der Totengräber der griechischen Wirtschaft und hat für leere Banken gesorgt. In angelsächsischen Zeitungen wurde geschrieben: Das, was in Griechenland in letzter Zeit passiert ist, gleicht einem fiskalpolitischen Flächenbombardement! Wir brauchen die Unterstützung unserer europäischen Freunde um das Werk der korrupten Politiker und Oligarchen in Griechenland zu beenden. Die Troika, die nun wieder kommen soll, hat dieser korrupten Klasse geholfen noch reicher zu werden. Warum? Kurz- oder langfristig brauchen wir einen Schuldenschnitt. Um mit den Worten des französischen Wissenschaftlers Thomas Piketty zu sprechen: Deutschland ist das Vorzeigebeispiel für ein Land, das in der Geschichte nie seine öffentlichen Schulden zurückgezahlt hat. Weder nach dem Ersten noch nach dem Zweiten Weltkrieg. Denken Sie an die Londoner Schuldenkonferenz von 1953, auf der 60 Prozent der deutschen Auslandsschulden annulliert und zudem die Inlandsschulden der jungen Bundesrepublik restrukturiert wurden. Griechenland hat im Rahmen dieser Konferenz auf seinen Teil der Schulden (mehrere Milliarden Dollar!) verzichtet. Wo bleibt in diesem Land von Immanuel Kants der kategorische Imperativ? Vielen Dank für das Interview Unterstützt werden kann die Hilfsaktion von Prof. Dr. Athanassios Giannis mit einer Spende an: Medikamenten-Nothilfe für Griechenland Bankverbindung: IBAN: DE80 4306 0967 1134 2196 02 BIC: GENODEM1GLS (Kontostand am 15.07.2015, 16.00Uhr:   3.458€) (Kontostand am 17.07.2015, 12.00Uhr: 48.497€) Text und Interviewfragen: RT Deutsch-Redakteur Florian Hauschild KenFM im Gespräch mit Prof. Dr. Athanassios Giannis: