Die USA und der Aufstieg des IS: "Wir haben dieses Chaos selbst geschaffen"
Der Aufstieg der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) lässt in den USA die Kritik an der interventionistischen Außenpolitik der letzten Jahre immer lauter werden. Politiker und Militärexperten sehen einen klaren Zusammenhang zwischen Staatenbildung und dem Machtvakuum, in welches Terroristen in den betroffenen Ländern vorstoßen.
In den USA melden sich immer mehr Politiker und erfahrene Persönlichkeiten aus Militärkreisen zu Wort, die ein Mitverschulden der Außenpolitik Washingtons am Aufkommen der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) einräumen.
"Im Nahen Osten ersetzt oft nur eine Form der Tyrannei eine andere", betonte Senator Rand Paul (Rep.-Kentucky) am Freitag vor dem konservativen Think-Tank CPAC. "Werden säkulare Despoten gestürzt, bricht Chaos aus und radikal-islamische Kräfte werden stärker."
Die Wurzeln des Islamischen Staats
Die Geschichte des IS begann im Grunde bereits mit der US-Invasion zum Sturz des Regimes Saddam Husseins im März 2003. Der Krieg zerstörte nicht nur das Wenige, das nach 12 Jahren des UN-Embargos noch an Infrastruktur übrig war. An die Stelle des alten Diktators wurde eine Regierung gesetzt, die keinerlei Interesse zeigte, Minderheiten nennenswerte Mitspracherechte zu geben; man inhaftierte Tausende junger Männer, die verdächtigt wurden, zu radikalen Aufständischen zu gehören und als die US-Truppen das Land wieder verließen, war immer noch keine funktionierende Infrastruktur vorhanden, dafür aber eine große Menge an amerikanischen Waffen.
Der IS geht im Kern auf frühere Aufständische zurück, die bewaffnet gegen die US-Besatzungsmacht vorgingen. Nachdem ihr Anführer al-Zarqawi 2006 durch eine US-Drohne getötet worden war, blieb seine Al-Qaida-Zelle mangels finanzieller und personeller Ausstattung erfolglos und wanderte ins benachbarte Syrien ab. Als dort 2011 der Bürgerkrieg ausbrach, gelang es der Gruppe, an Boden zu gewinnen.
Dass die USA und andere Länder begannen, die Opposition gegen Präsident Bashar al-Assad zu bewaffnen, war für den IS, der damals als ISIS firmierte, wie der Gewinn des Lotto-Jackpots. Die so genannten "moderaten" Rebellen verloren derweil an Boden, zahlreiche Kämpfer wechselten zu den djihadistischen Gruppen und dabei vor allem zum IS, der grenzüberschreitend agierte und sich international vor allem durch seine besonders ausgeprägte Brutalität einen Namen machte.
Die finanziellen Mittel des IS kommen – neben undurchschaubaren Kanälen, die in Richtung Saudi-Arabien und Katar weisen – nicht zuletzt aus dem Verkauf von Öl auf dem Schwarzmarkt, das aus den von der Miliz besetzten Ölfeldern gewonnen wurde. Wie Marin Katusa, Chefanalyst beim Energieinvestor Casey Research, gegenüber RT berichtete, könne davon ausgegangen werden, dass der IS täglich mehr als eine Million US-Dollar aus dem Verkauf von Öl einnimmt.
Auch wenn die Anti-IS-Koalition nun versucht, die Versorgungswege durch Bombardements von Pipelines zu unterbrechen, sei davon auszugehen, dass diese in maximal 120 Tagen wieder instand gesetzt werden können und auch ein zerstörter Hafen könne in nur sechs Monaten wieder funktionieren. Die Ölgeschäfte würden mit Geschäftsleuten in der Gegend, aber auch auf dem Wege grenzüberschreitenden Schmuggels getätigt. Es werden etwa Öltanker billig gekauft, mit Gewinn in Jordanien weiterveräußert und die Schmuggler schaffen es durch die Bestechung von Grenzposten, ihre Lieferungen ins Ausland zu bekommen.
IS gegen die irakische Armee
Die mit erheblichen US-amerikanischen Steuermitteln ausgestattete und ausgebildete irakische Armee hatte dem IS bei dessen Offensive im Juni 2014 zum Teil kampflos ganze Städte überlassen und ist nach wie vor keine nennenswerte Herausforderung für die Terrormiliz.
Die Hauptursachen für das fast vollständige Zerfallen der Streitkräfte liegen zum einen darin, dass nach der Invasion 2003 alle Generäle und erfahrenen Militärs, die drei Golfkriege ausgefochten hatten, aus der Armee entfernt wurden und es keine funktionierende Hierarchie gab, als die US-Truppen das Land verließen. Darüber hinaus hatte Premierminister Nouri al-Maliki die Sunniten im Land dermaßen dem Staat entfremdet, dass die Kampfmoral völlig am Ende war, als es darum ging, den Staat gegen die vorrückenden Djihadisten zu verteidigen.
Auch existiert innerhalb der irakischen Armee ein Korruptionssystem, das unter anderem 50.000 bezahlte, aber nicht aktive "Geistersoldaten" geschaffen hat. Kommandanten geben demnach an, alle fünf Leibwächter, die ihnen zustehen, in Anspruch zu nehmen, schicken aber drei von ihnen mit lediglich einem Teil des Gehalts nach Hause und stecken den Rest in die eigene Tasche. Auf dem Brigadelevel funktioniert das gleiche Spiel mit einer sogar noch höheren Anzahl an Soldaten. Auch werden getötete oder desertierte Soldaten oft nicht gemeldet, aber ihr Sold weiterkassiert.
Was die USA nun tun sollten
Jason Stapleton, ein Veteran der US-Marines, der im Bereich der Special Operations tätig war, erklärte im Gespräch mit RT, dass der IS zwar gestoppt und dass ihm entgegengetreten werden müsse, er aber keine Bedrohung für die USA darstellte.
"Wir haben dieses Chaos selbst geschaffen", äußerte Stapleton. "Aber das Problem ist: Wenn man die US-Politik betrachtet und was bislang in Richtung Nation Building geschehen ist, erst Saddam zu stürzen, dann Mubarak, später Libyen und Syrien, hat in jedem einzelnen Fall ein massives Machtvakuum geschaffen, und – wie Sie selbst in ihrer Reportage bislang korrekt berichtet haben – was man tatsächlich damit kreiert hat, ist die Notwendigkeit US-amerikanischer Militärpräsenz, um Stabilität zu sichern, da es dort kein solides, stabiles Fundament gibt."
Sobald die USA ihre Truppen aus diesen Ländern abziehen, würden umgehend die Extremisten zurückkehren und nach der Macht streben. Und dies, so Stapleton, sei der Grund, warum die "Falken" in den USA nach einer stetigen Kriegsführung rufen müssen, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass es nirgendwo gelungen wäre, eine funktionierende Regierung zu schaffen.
"Das Problem ist, dass sie ihren Job schlecht machen", so Stapleton. "War schon der Irak keine ausreichende Lektion für uns, hätte es Ägypten sein müssen, und wenn nicht Ägypten, dann hätte es Libyen sein sollen, und wenn nicht Libyen, dann Syrien."
Die USA, so Stapleton, sollten den Ländern das Lösen ihrer Probleme selbst überlassen, statt ständig zu debattieren, welche militärischen Mittel als nächstes angewendet werden müssten, um den jüngsten Feind im jeweiligen Staat zu bekämpfen. Alles andere würde den Teufelskreis aus Intervention, Nation Building, Rückzug und Machtvakuum über Generationen ausdehnen.