Meinung

Dem Westen fehlt ein Plan B für die Ukraine – Der Fall der Kommunistischen Partei

Alle unheilvollen Nachrichten nützen nichts – die Ukraine und hinter ihr der Westen setzen ihren unheilvollen Kurs fort. Wenn man, auf welcher Ebene auch immer, verhandeln wollte, müsste es Anzeichen eines Nachgebens geben. Wenigstens kleine. Das Beispiel der Kommunistischen Partei der Ukraine spricht für das Gegenteil.

von Dagmar Henn

Das Berufungsgericht in Lwow hat vor Tagen das Verbot der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU) bestätigt. Ihr gesamtes Vermögen geht in Staatsbesitz über. Der erste Anlauf, die KPU zu verbieten, begann unmittelbar nach dem Putsch 2014, und es gelang, ihre Teilnahme an allen Wahlen seitdem zu unterbinden; das jetzt bestätigte Verbot beruht auf dem Erlass des ukrainischen Präsidenten Selenskij vom 14. Mai, mit dem alle Parteien außer seiner eigenen und den nazistischen verboten wurden.

Das ist eigentlich keine Nachricht, könnte man sagen; klar ist ein Verbot der kommunistischen Partei in den meisten Fällen ein Kennzeichen einer faschistischen Macht, aber die Ukraine befindet sich bereits acht Jahre lang in diesem Zustand, und dieser juristische Schritt ist nichts gegen die unzähligen Fälle von Morden, Entführungen, Folter und acht Jahren Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Dennoch teilt diese Meldung etwas mit. Und zwar auf zwei Ebenen.

Die erste ist vergleichsweise simpel. Die militärische Lage ist für Kiew alles andere als günstig. Eine massive Niederlage ist absehbar. Wie würden gewöhnliche Politiker in einem solchen Moment reagieren? Sie würden versuchen, die eigene Zukunft zu sichern. Nichts ist weniger erstrebenswert in der Politik als eine Situation, in der es keine Handlungsoptionen gibt; eine der ersten Lektionen, die man lernt, lautet, immer zumindest einen Plan B zu haben. Wenn man sich jetzt in die Lage der Kiewer Macht versetzt, wie sähe so ein Plan B aus?

Man würde versuchen, Kontakte ins gegnerische Lager herzustellen. Weil eine militärische Niederlage nicht nur die Entwicklungsvariante einer Einnahme durch Russland, sondern auch die eines inneren Umsturzes mit sich brächte, wäre es, schlicht um die eigene Haut zu retten, unabdingbar, einen Gesprächsfaden zu den oppositionellen Kräften im eigenen Land zu knüpfen. Der erste Schritt in diese Richtung wäre eine Verringerung des Verfolgungsdrucks.

Um zu begreifen, wie sehr die Kiewer Truppen bereits jetzt mit dem Rücken an der Wand stehen, reicht es, auf die Tatsache hinzuweisen, dass inzwischen Frauen einberufen werden. Das geht bereits deutlich über den Volkssturm der Nazis hinaus, und es ist mitnichten eine Errungenschaft der Gleichberechtigung, auch wenn das in westlichen Medien sicher so erzählt werden wird. Im Gegenteil, das ist ein Schritt, der nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft der Ukraine aufs Spiel setzt.

Der Grund, warum durch die gesamte Menschheitsgeschichte junge Männer in Kriege geschickt werden, ist, weil sie auf einer grundlegenden biologischen Ebene ersetzbar sind. Junge Frauen sind es nicht. Wenn sie verheizt werden, wie die Regierung Selenskij das vorzuhaben scheint, werden die künftigen Generationen mit verheizt. Ein solcher Schritt ist die maximale Mischung aus Verzweiflung und Rücksichtslosigkeit.

Aber zurück zu diesem Verbotsverfahren. Dass es weiter fortgesetzt wurde, ebenso wie der Prozess gegen die Brüder Kononowitsch, lässt erkennen, dass in Kiew nach wie vor nicht an Verhandlungen gedacht wird. Und wir reden hier nicht von Verhandlungen um einen Waffenstillstand, einen Frieden oder eine Kapitulation; wir reden von Verhandlungen, die einzig den Zweck haben, der jetzigen politischen Elite das physische Überleben zu sichern. Selbstverständlich – für jede andere Art von Verhandlung wären entsprechende Schritte ebenso das absolute Minimum; vorausgesetzt natürlich, es gäbe überhaupt eine Vorstellung von einer Ukraine "danach."

Stattdessen verhält sich Selenskij, als säße er im Führerbunker und warte auf die Wunderwaffe. Allerdings entspricht dieses Bild nicht ganz der historischen Wahrheit, auch wenn diese Details im Westen eher nicht thematisiert werden.

In Wirklichkeit hatten nämlich selbst die Nazis einen Plan B. Ein wenig kann man in der wunderbaren alten sowjetischen Spionageserie "Siebzehn Augenblicke des Frühlings" darüber erfahren; wenn man mehr wissen will, hilft das Buch "Blowback" von Christopher Simpson. Das Bild ist aber bis heute nicht komplett.

Die politische Landschaft der USA war während des gesamten Zweiten Weltkriegs gespalten, und neben der Linie des US-Präsidenten Roosevelt, die Nazis zusammen mit der Sowjetunion niederzuringen, gab es die ganze Zeit über auch eine Strömung, die mit ihnen zusammenarbeiten wollte und mit ihnen zusammengearbeitet hat. Bekannte Exponenten dieser Seite waren die Gebrüder Allen und John Foster Dulles, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs als Agenten des OSS in Bern saßen und dort Verhandlungen mit Vertretern Himmlers führten. Diese Verhandlungen waren die Vorbereitungen für die schnelle Wende, die die US-Politik nach dem Tod Roosevelts vollzog, und die großen Teilen der Nazi-Elite den Hals rettete, da sie sich unter die US-amerikanischen Fittiche retten konnten. Zugleich bescherte sie der Welt den Kalten Krieg.

Es ist nicht nur die politische Macht in Kiew, die keine Schritte unternimmt, um vor – oder selbst während – der Niederlage zu einem Plan B zu wechseln. Würden sie im nationalen Interesse der Ukraine handeln, hätten sie schon längst die Waffen niederlegen müssen, weil sich ihre Position nur noch weiter verschlechtern kann; nach außen in Bezug auf Russland, das militärisch dominiert, aber auch nach innen gegenüber der eigenen Opposition, die man zwar nicht nur zu unterdrücken, sondern tatsächlich auszurotten suchte, die aber dennoch weiter vorhanden ist und auf die eine oder andere Weise (und sei es in Gestalt einer zivil-militärischen Administration in Zusammenarbeit mit der russischen Armee) die künftige ukrainische Regierung stellen wird. Aber unübersehbar handelt die Regierung Selenskij nicht im ukrainischen Interesse, sondern in dem ihrer westlichen Auftraggeber.

Und was tut der so glorreich geschlossene Westen, die "internationale Gemeinschaft" von zwei Dutzend Staaten? Was tun die USA? Sie verhalten sich exakt gleich. Die Niederlage der Selenskij-Ukraine ist auch ihre Niederlage und vermischt sich mit dem Scheitern der ökonomischen Kriegsführung. Anders gesagt, gäbe es im Westen einen Rest Vernunft, müsste Selenskij die Anweisung erhalten, kooperativer zu handeln. Stattdessen unternimmt der kollektive Westen Schritte (wie die Aufnahme von Schweden und Finnland in die NATO), die das Gegenteil bewirken. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Ukraine.

Die Tatsache, dass Kiew die Verfolgung fortsetzt, sorgt dafür, dass die Ukraine, selbst wenn das Problem Selenskij intern gelöst wird, für den Westen dauerhaft und endgültig verloren ist. Wer von der verbliebenen ukrainischen Opposition sollte von diesem Westen noch ein Stück Brot nehmen? In diesem Zusammenhang wird das Verfahren gegen die KPU wieder bedeutsam. Parteien mögen Außenbeziehungen haben oder nicht; kommunistische Parteien haben sie immer. Das bedeutet, wie prekär und beschränkt er auch sein mag, es gibt immer einen Zugang zum Gespräch, weil es auf der anderen Seite immer Personen gibt, denen vertraut wird. Wollte man auch nur funktionsfähige Beziehungen zu einer Ukraine nach Selenskij aufbauen, wäre das eine der wenigen aussichtsreichen Optionen (auch wenn die Vorstellung, jemand wie Olaf Scholz müsste bei deutschen Kommunisten um freundliche Unterstützung bitten, schon etwas Surreales hat).

Es scheint aber keine Planungen, nicht einmal ein Nachdenken über eine Ukraine nach Selenskij zu geben. Überhaupt kennt die westliche Strategie wohl nur "Sieg oder Untergang". Das zeigt sich am Umgang mit einer langen Liste internationaler Organisationen (die immer auch diplomatische Nebenkanäle sind), die nicht nur, wie all die Jahrzehnte zuvor, gelegentlich für die eine oder andere Bosheit genutzt werden, sondern die komplett und ohne Rückweg auf die westliche Seite gezogen wurden. Das betrifft das IOC ebenso wie diverse andere Sportverbände, die OSZE, das OPCW, das IRK und diverse Unterorganisationen der UNO, von unzähligen Stiftungen und Ähnlichem ganz zu schweigen.

"Sieg oder Untergang" ist politisch die dümmste Position, in die man sich begeben kann, und sie ist nur unter zwei Voraussetzungen halbwegs legitim. Nämlich dann, wenn man sich der eigenen Überlegenheit so sicher ist, dass es keinen Plan B braucht (ein extrem seltener Fall, weil man sich bei Einschätzungen schließlich immer auch irren kann) oder wenn jede Variante, die nicht Sieg heißt, gleichermaßen den Untergang zum Ergebnis hätte. Nun sind die USA für ihre Großmäuligkeit berüchtigt, und die ganze NATO steht ihnen darin nicht nach, aber die Version mit der Überlegenheit kann es nicht sein. Dann sähen die ökonomischen wie die militärischen Ergebnisse anders aus.

Damit bliebe nur die zweite Version. Mit den gleichen Konsequenzen, die das in der Ukraine jetzt bereits hat: dass das Fortbestehen der gegebenen Macht, politisch wie ökonomisch, in absoluten, unauflöslichen Widerspruch zu den existentiellen Interessen der Bevölkerungen gerät. Quer durch den ganzen, solidarisch geschlossenen Westen.

In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob zumindest ein Aufweichen der Positionen stattfindet. Falls ja, wird das zuerst an irgendeinem kleinen Ereignis sichtbar werden, etwa vom Format dieses KPU-Verbots. Geschieht das nicht, sollten sich die Bewohner des kollektiven Westens ernste Gedanken um ihre persönlichen Interessen machen, ehe eine Fortsetzung der jetzigen Politik ihre Lebensgrundlagen zerstört.

Aber auf welche Weise auch immer dieser politische Irrsinn beendet wird – sofern ein nukleares Desaster vermieden wird, bleibt ein Trost: Weil der Westen so geschlossen ist, und der Nicht-Westen so deutlich seiner überdrüssig, wird es keine Gebrüder Dulles geben, keine Operation Paperclip und keine Rattenlinie. Diesmal wird komplett entnazifiziert.

Mehr zum Thema - Die NATO hat sich seit 2014 darauf vorbereitet, in der Ukraine Krieg gegen Russland zu führen

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