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"Blutige Kohle" aus Kolumbien – Energiepolitik zulasten von Mensch und Umwelt

Wegen der Sanktionen gegen Russland könnte Deutschland künftig mehr Kohle aus Kolumbien kaufen. Dort klagen Aktivisten und Indigene aber über Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung. Allein im Jahr 2020 wurden 65 Naturschützer und Umweltaktivisten getötet.
"Blutige Kohle" aus Kolumbien – Energiepolitik zulasten von Mensch und UmweltQuelle: AFP © Luis ROBAYO / AFP

El Cerrejón im Norden Kolumbiens gleicht einer Mondlandschaft. Auf rund 690 Quadratkilometern, knapp die Fläche von Hamburg, fressen sich Bagger durch den größten Steinkohletagebau Lateinamerikas. 23,4 Millionen Tonnen Kohle förderte die Mine des Schweizer Konzerns Glencore im vergangenen Jahr. Die gesamte Menge geht in den Export – künftig vielleicht auch vermehrt nach Deutschland.

Nachdem die EU wegen des Krieges in der Ukraine einen Importstopp für Kohle aus Russland verhängt hat, sucht die Bundesregierung auf der ganzen Welt nach Alternativen. Trotz des Ausbaus von Wind- und Solarenergie hat Steinkohle in Deutschland noch immer einen Anteil von neun Prozent an der gesamten Stromerzeugung. Nach Russland, den USA und Australien war Kolumbien im Jahr 2021 das viertwichtigste Herkunftsland für Kohle in Deutschland – mit einem Anteil von 5,7 Prozent an allen Steinkohle-Importen. Gut 2,3 Millionen Tonnen Steinkohle kamen insgesamt von dort.

Vor kurzem telefonierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) deshalb mit dem kolumbianischen Präsidenten Iván Duque. Kolumbien prüfe die Möglichkeit, die Kohle-Exporte nach Deutschland zu erhöhen, um dessen Energiesicherheit zu stärken, hieß es in einer Mitteilung des Präsidialamtes des südamerikanischen Landes.

Seit Jahresanfang sind die Importe aus dem südamerikanischen Land, in dem am Sonntag der erste Durchgang der Präsidentenwahl ansteht, bereits stark gestiegen. In den ersten drei Monaten belief sich die Importmenge aus Kolumbien auf 1,1 Millionen Tonnen, wie der Verein der Kohlenimporteure berichtet. "Im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein Anstieg um 62 Prozent", sagte ein Sprecher.

Und die Nachfrage dürfte wachsen, falls russische Gaslieferungen einbrechen oder gar ganz ausfallen sollten. Wenn das droht oder geschieht, will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dafür sorgen, dass übergangsweise wieder mehr Kohlekraftwerke in Deutschland in die Stromerzeugung einsteigen.

Eine Erhöhung der Importmengen könnte die Bundesregierung jedoch vor ein moralisches Dilemma stellen. Indigene und Aktivisten im Department La Guajira klagen immer wieder über Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards rund um Cerrejón. "Ohne Zweifel wird die Entscheidung der deutschen Regierung negative Folgen für die Rechte der indigenen und bäuerlichen Gemeinschaften von La Guajira haben", sagt die Koordinatorin des Menschenrechtsprogramms der Nichtregierungsorganisation Cinep, Jenny Paola Ortiz.

Luís Misael Socarrás vom indigenen Volk der Wayuu wurde zuletzt von bewaffneten Männern auf Motorrädern bedroht. Sie hätten sein Haus und das seiner Mutter umstellt und nach ihm gesucht, sagt er. "Und all das wegen unseres Kampfes gegen Cerrejón."

Viele Indigene mussten wegen der sich ausbreitenden Mine schon ihre Heimatorte verlassen. In der Halbwüste von Guajira verbraucht sie täglich 24 Millionen Liter Wasser – genug, um 150 000 Menschen zu versorgen. 17 Flüsse und Bäche sind bereits verschwunden, rund 30 wurden umgeleitet. Das jüngste Beispiel: Im Jahr 2016 veränderte El Cerrejón den Lauf des Bachs Bruno, damit die Mine vergrößert und die Förderung erhöht werden konnte.

"Der Bach Bruno ist eine der wenigen Wasserquellen, die den Indigenen bleibt", sagt Socarrás. "Ihn umzuleiten, bedeutet den Tod für Hunderte Menschen." Der Bach Bruno ist zudem ein heiliger Ort für afro-kolumbianische und indigene Gemeinschaften. Dutzende Heilpflanzen wachsen nur dort.

Nach einer Klage ordnete das Verfassungsgericht im Jahr 2017 an, den Bach wieder zu renaturieren. Geschehen ist allerdings bis heute nichts. Im April schließlich hieß es von einer Arbeitsgruppe aus verschiedenen Institutionen, darunter das Umweltministerium, dem Urteil sei nachgekommen worden – und der Fall wurde zu den Akten gelegt. Vor allem aber wurden die Betroffenen, die Indigenen, nicht beteiligt.

Menschenrechtler und europäische Abgeordnete, die zu Besuch in La Guajira waren, wiesen das Vorgehen zurück. "Wir haben eine Verantwortung gegenüber diesen Gemeinschaften, wir können nicht gleichgültig sein", sagte Gary Gannon vom irischen Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten.

Die Wayuu-Anführerin Laura Brito sieht auch die Verbraucher in Europa in der Verantwortung. "Die internationale Gemeinschaft sollte darüber nachdenken, woher die Kohle kommt, mit der ihre Häuser beleuchtet und geheizt werden", sagt sie. Angesichts der Menschenrechtsverletzungen rund um die Mine spricht Cinep-Koordinatorin Ortiz von "blutiger Kohle". Cerrejón wehrte die Vorwürfe ab. Auf Anfrage verwies das Unternehmen auf seine Maßnahmen unter anderem zum Wasser- und Luftmanagement und zur Einhaltung der Menschenrechte.

El Cerrejón ist mit Tausenden Mitarbeitern der wichtigste Arbeitgeber in der armen Region La Guajira. Viele sind trotz des schwarzen Staubs, des verschmutzten Wassers und womöglich durch den Kohle-Abbau verursachter Krankheiten für die Mine. Die Regierung setzt auf den Export von Rohstoffen als Motor für mehr Wachstum, während zwei Drittel der eigenen Energie aus Wasserkraft stammen. Der linke Präsidentschaftskandidat Gustavo Petro, der in Umfragen führt, möchte mit Blick auf die Energiewende die Ölförderung bremsen und die Einnahmen durch den Tourismus und höhere Unternehmenssteuern ersetzen. Kohle und Öl bezeichnete er wie Kokain als Gifte.

Wer sich Wirtschaftsinteressen in den Weg stellt, lebt in Lateinamerika und besonders in Kolumbien gefährlich. Die Gewalt geht der Nichtregierungsorganisation Global Witness zufolge vor allem von ehemaligen Paramilitärs, Dissidenten der Guerillaorganisationen und den staatlichen Sicherheitskräften aus.

65 Naturschützer und Umweltaktivisten wurden in dem Land 2020 getötet. "Ich habe keine Angst um mein Leben, sondern um das meiner Familie", sagt Socarrás. Aufhören, gegen das Steinkohlebergwerk zu kämpfen, will der indigene Aktivist dennoch nicht. "Ich bin überzeugt, dass das, was ich mache, richtig ist – für meine Gemeinschaft, die Natur und meine Vorfahren."

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(rt/dpa)

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